Dunkle Tage
den Kommissar schien es aus dem Konzept zu bringen. „Also noch vor der Besprechung zwischen Max und Friedrich?“
„Ja, natürlich.“
Diana konnte es nicht fassen. Wenn das der Wahrheit entsprach, war ihr Verdacht gegen Hermann haltlos!
„Wir hatten Streit. Ich habe ihm die Pistole auf die Brust gesetzt – äh, im übertragenen Sinne, natürlich! – und gedroht, dass ich ihm mit einem eigenen Unternehmen Konkurrenz mache, wenn er mich nicht als gleichberechtigten Partner akzeptiert.“
„Warum dieser Umweg? Wäre es nicht besser gewesen, sich selbstständig zu machen, statt sich weiteren Querelen mit Ihrem Bruder auszusetzen?“
Es sei denn, Hermann war davon ausgegangen, dass Max’ Lebensspanne knapp bemessen war, ergänzte Diana in Gedanken.
„Um die Wahrheit zu sagen: Meine Investitionen waren noch nicht so weit gediehen, wie Max glaubte. Ich bestärkte ihn natürlich in seinem Irrglauben. Wenn er gewollt hätte, hätte er mich zu diesem Zeitpunkt nämlich noch in den Bankrott treiben können. Aber das hat er nicht begriffen. Wie gesagt: Er hatte keinen Weitblick.“ Hermann nahm noch einen Schluck. „Im Übrigen will ich kein Konkurrenzunternehmen. Ich will dieses. Und ich werde es zu neuer Größe führen.“
Sein Blick war auf Höhenflüge gerichtet, die nur er sehen konnte, die aber, daran hatte Diana keinen Zweifel, binnen kürzester Zeit Realität werden würden. Wie groß war doch der Unterschied zwischen Friedrich und ihm! Max hatte beide in Abhängigkeit gehalten, beide hatten eigene Pläne für das Unger’sche Unternehmen. Aber während Friedrich sich in Luftschlössern verlor, verfolgte Hermann seine Absichten mit unbeirrbarer Zielstrebigkeit.
„Sie sind der Erbe des Unternehmens, nicht wahr?“
„Wenn Sie mir unterstellen wollen, ich hätte meinen Bruder umgebracht … das war nicht nötig. Als er sich plötzlich mit meiner Unabhängigkeit konfrontiert sah, wurde Max lammfromm. In seiner Kopflosigkeit hat er mir aus der Hand gefressen. Zähneknirschend, natürlich. Es wurmte ihn, dass er klein beigeben musste. Aber er besaß immerhin so viel Verstand zu begreifen, dass wir uns als Gegner nur gegenseitig zugrunde richten würden.“
Dianas Gedanken wirbelten durcheinander. Sowohl Friedrich als auch Hermann hatten ihren Bruder gehasst und brauchten dessen Geld. Aber Hermann hatte sich bereits eine starke Position gegen Max erkämpft. Löste sich damit sein mögliches Mordmotiv in Luft auf? Andererseits gab es für all das nur sein Wort. Sein Bruder hatte ihn unterschätzt, sagte er. Vielleicht unterschätzten sie ihn alle?
21
Auch am Mittwoch war die Situation in der Stadt desolat. Gerüchte kursierten, dass in Mitteldeutschland und im Ruhrgebiet die Arbeiter gesiegt hätten und Räteregierungen eingesetzt wurden. Außerdem hieß es, in Berlin seien Waffenlager der Spartakisten entdeckt worden. Absperrungen wurden verstärkt, Kontrollen verschärft, während sich gleichzeitig das Gerücht verdichtete, Kapp sei aus der Reichskanzlei verschwunden. Der Zusammenbruch der „neuen Regierung“ schien immer wahrscheinlicher.
Nach wie vor waren die Straßen voll debattierender Menschen, die ihre alten Argumente mit neuer Wut vorbrachten. Die Entbehrungen taten ein Übriges, um die Erbitterung der Bevölkerung zu offenem Hass anschwellen zu lassen. Die Stadt war ein Pulverfass.
Die Noske-Ebert-Regierung müsse jetzt vor dem Volk kapitulieren, hieß es in kommunistischen Kreisen. Das Militär werde sich auf die Innenstadt innerhalb des Spreebogens zurückziehen, anschließend würden die Arbeiter bewaffnet und als Sicherheitspolizei aufgestellt werden. Das neue Kabinett dürfe sich nicht ohne Zustimmung der organisierten Arbeiterschaft bilden. Immer wieder wurde an die Blutweihnacht 1918 erinnert, als Ebert die reaktionären Fronttruppen gegen die Revolutionäre zu Hilfe geholt hatte. So etwas dürfe sich nicht wiederholen!
In der Villenkolonie Grunewald, wo man nur bei genauem Hinsehen feststellen konnte, dass nichts mehr so war wie noch vor einer Woche, tigerte Hermann Unger im Wohnzimmer des Unger’schen Anwesens auf und ab und zerbrach sich den Kopf, wie man den Streik beenden konnte. Die Fabrik stand still, das machte ihn gereizt.
Diana hütete sich, ihn in dieser Verfassung anzusprechen, und ignorierte sein Herumlaufen. Sie war damit beschäftigt, eine Liste zusammenzustellen mit allem, was sie und Hendrik über den Mord an ihrem Onkel herausgefunden hatten, aber sie besaß
Weitere Kostenlose Bücher