Dunkle Träume (Wächterschwingen) (German Edition)
jemals zuvor, obwohl sie die Tochter des Mannes war, der sein Leben zur Hölle gemacht hatte. Aber dafür konnte sie nichts. Jetzt, nachdem sie mit ihm gemeinsam den letzten Weg aus der Hölle gegangen war, bemerkte er, wie sehr sie ihm ä h nelte. Sie waren beide verlorene Seelen. Seine fehlende Hälfte. Sie vervollständigte ihn.
»Du hörst mir gar nicht zu«, sagte Vincent lächelnd.
»Hm«, brummte er und versteifte sich, als Jenna zurückkam. Sie wirkte so verdammt müde. Dennoch verabschiedete sie sich tapfer lächelnd von Vincent und versprach, am nächsten Tag vorbeizus e hen.
Die Energie des Najadenwassers war längst aufgebraucht. Kyrian wünschte, er könnte etwas für sie tun. Sie musste jetzt essen und schlafen; doch dabei brauchte sie seine Hilfe nicht.
»Ash wird mich zu Dad bringen«, erklärte sie ihm. »Ich würde gern allein mit ihm sprechen und dann muss ich erst mal für mich sein.« Sie senkte den Kopf. Offensichtlich wollte sie nicht, dass er mitkam.
Obwohl ihm das einen Stich versetzte, sagte er zu Ash: »Sorge d a für, dass sie zu Kräften kommt und sich ausruht.«
Jenna stellte sich zu Ash, wandte sich aber noch einmal an Kyr. »Bitte, lass dich in der Klinik untersuchen. Wir sollten auch einen Lungenfunktionstest machen.«
Er fühlte sich prima. Das Feuer hatte er längst vergessen, dafür hörte sich ihr »wir« verlockend an. Zu gern wollte er ihre Hände auf seinem Körper spüren.
»Falls du bleibst«, setzte sie nach.
»Ich bleibe.«
Ihr Lächeln war so ehrlich und ging ihm durch und durch, dass seine Schwingen unkontrolliert zitterten.
Sie drückte nur kurz seine Hand und sagte: »Wir sehen uns«, bevor sie sich von Ash umarmen ließ.
Kyr war immer allein gewesen und es hatte ihm nichts ausgemacht. Doch jetzt wollte er Jenna nicht gehen lassen. Es fiel ihm verdammt schwer, sie nicht einfach in die Arme zu reißen, und als sie sich mit Ash auflöste, fühlte er eine nie gekannte Leere in sich.
»Gib Jenna Zeit. Bei Noir hab ich auch ewig gebraucht, aber das Warten hat sich am Ende ausgezahlt.« Lächelnd streichelte Vincent seinem Baby über die Wange. Der Kleine wetzte suchend das Köp f chen auf seiner Brust hin und her und gab einen Protestschrei von sich, was seinem stolzen Vater ein Lächeln entlockte.
»Danke«, sagte Kyrian schnell, weil er das traute Glück nicht länger stören wollte und das Baby offensichtlich Hunger hatte. »Für alles.« Er wollte Vincent noch so viel sagen, doch seine Kehle war wie z u geschnürt. Er war einfach nicht der Typ, der sein Inneres nach außen kehren konnte.
Vincent schien zu verstehen, was in ihm vorging, denn er klopfte ihm auf die Schulter, wünschte ihm mit Jenna alles Gute und schloss die Tür.
*
Müdigkeit lähmte Jennas Muskeln und sie sehnte sich nach einem heißen Entspannungsbad, aber zuerst wollte sie eine Aussprache mit ihrem Vater.
Sie fand ihn in einem Krankenzimmer, im Gespräch mit einer der Befreiten. Als er Jenna an der Tür sah, beendete er sofort die Visite und ging hinaus in den Gang.
»Ich bin so froh, dich zurückzuhaben.« Überschwänglich nahm er sie in die Arme und streichelte über ihren Rücken.
»Obwohl ich nicht deine richtige Tochter bin?« Zuerst hing Jenna steif in seinem Griff, weil sie nicht wusste, wie sie reagieren sollte. Ihr Leben stand auf einmal Kopf, und das kannte sie nicht. Bisher war immer alles geradlinig und geregelt abgelaufen. Doch als ihr V a ter sagte: »Für mich warst du immer wie meine Tochter«, löste sich die Anspannung und sie hielt ihn fest, während Tränen über ihre Wangen liefen.
»Geht es dir gut, Jenn?«, fragte er. »Hat dir jemand etwas getan?«
Seufzend schüttelte sie den Kopf und wischte sich mit dem Han d rücken über die Augen. »Ich bin nur müde.«
»Komm, erzähl mir alles.«
Im Gang wuselte es, Pfleger und Krankenschwestern kreuzten i h ren Weg. Ihr Vater schien zu den wenigen Angestellten sämtliche ehrenamtliche Kräfte in die Klinik beordert zu haben. Normale r weise hatten sie selten Patienten auf der Station, denn die meisten k a men nur in die Notaufnahme und verschwanden oft am selben Tag wieder. Manche Geschöpfe waren eben widerstandsfähiger und r e generierten sich schnell.
Jenna folgte ihrem Vater in einen leeren Aufenthaltsraum für das Personal. Er bat sie, sich zu setzen, und überreichte ihr ein Tontöp f chen, das er aus seinem Kittel zog. Dann holte er einen Teelöffel aus einer Schublade der kleinen Küche und
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