Dunkle Träume (Wächterschwingen) (German Edition)
letzten Wochen gelernt hat.«
»Das ist unfair!«, rief sie grinsend.
»Tja.« Kyr zuckte mit den Schultern und sagte: »Das Leben ist nun mal kein Zuckerschlecken«, bevor er verschwand.
Seine Worte hinterließen einen bitteren Nachgeschmack. Kyrians Leben war alles andere als leicht gewesen. In langen Gesprächen und erst nach vielen Stunden hatte er häppchenweise preisgegeben, was ihm alles zugestoßen war.
Der grausame Mord an seiner Mutter, wie ihm ein Dunkelelf den Schwanz abgeschnitten hatte, jahrelanges, knochenhartes Training, bei dem er mehr als einmal beinahe sein Leben gelassen hätte. Qual und Folter, wenn er nicht gespurt hatte, Nahrungsentzug, eingesperrt in ein dunkles Loch, Gehirnwäsche und wieder Folter, um ihn zu einem gehorsamen, ferngesteuerten Killer auszubilden, mit dem Hauptziel, Isla zu finden. Alles unter dem Deckmantel des Verspr e chens, sein Leben und das seiner Schwester zurückzubekommen, sollte er alle Aufträge zu Lothaires Zufriedenheit ausführen.
Es war ein Wunder, dass Kyrian überhaupt noch lachen konnte. Jeder normale Mensch hätte massive geistige und körperliche Sch ä den davongetragen, sodass er sich entweder längst umgebracht hätte oder den Rest seines Lebens in der Psychiatrie zubringen würde.
Kyrian sollte sein Leben von nun an genießen. Dafür würde sie sorgen. Wenigstens hatte sein schrecklicher Lebenslauf etwas Gutes: Er hatte sie zusammengebracht.
Als er plötzlich vor ihr auftauchte und nichts weiter in der Hand hielt als ein Fernglas, fragte sie frech: »Wo ist jetzt meine Überr a schung?«
Er drückte ihr den Feldstecher in die Hand und zog sie zur Pan o ramascheibe »Siehst du die Nachbarinsel?«
Jenna legte die Okulare an ihre Augen und betrachtete das winzige Eiland, das etwa fünf Kilometer entfernt lag. »Ja.«
»Sie ist unbewohnt. Dort findest du die Überraschung.«
»Dann lass uns schnell dorthin … fahren?« Jenna hatte einen Bootsverleih entdeckt, als sie angekommen waren.
»Nichts da, du wirst dich translozieren.«
»Über das Meer?« Sie hatte es in den letzten Tagen geschafft, sich erst wenige Meter, danach über einen ganzen Sportplatz zu blinzeln, aber das hier war ein völlig anderes Kaliber.
Kyr nahm sie an der Hand und sah sie ernst an. »Ich fange dich auf, falls du es nicht schaffst, doch ich glaube an dich.«
»Okay.« Mit ihm an ihrer Seite fühlte sie sich bereit. Sie legte das Fernglas weg und atmete tief durch. Diesmal würde Kyr sie nicht führen, aber er war bei ihr, es konnte nichts geschehen.
»Auf drei«, sagte sie und schloss die Augen. »Eins, zwei …« Sie stellte sich vor, wie sie sich auflöste und ihr Geist über das Wasser flog. Sie sah die Insel vor ihrem inneren Auge, konnte beinahe nach ihr greifen. Jenna fühlte Kyrian bei sich, aber er blieb passiv. War sie schon an der Insel angelangt? Oder bereits darüber hinaus? Was, wenn sie auf einer Palme landete oder im tiefen Ozean?
Stopp!, dachte sie und riss die Lider auf. Wasser umspülte ihre F ü ße und sie fanden keinen Halt. Durch die Wucht ihrer abrupten Bremsung fiel Jenna hin, doch Kyrian drehte sich mit ihr um, sodass sie zwar beide ins Wasser stürzten, aber sie auf ihm zu liegen kam. Er tauchte nur wenige Zentimeter unter, denn das Meer war an di e ser Stelle bloß knietief. Jenna hatte sie beide direkt vor den Strand transloziert!
Prustend tauchte er auf. »Das war klasse! Du hast es geschafft!«
»Na ja, knapp«, erwiderte sie, doch das stolze Funkeln in seinen Augen brachte sie zum Lächeln.
Er angelte nach seiner Sonnenbrille, schüttelte die Tropfen ab und setzte sie auf, bevor er Jenna an der Hand zum Strand zog. »Jetzt hast du dir auch ein leckeres Essen verdient.«
Zwischen einer Baumgruppe, unter schattigen Palmblättern, e r spähte sie eine ausgebreitete Picknickdecke, auf der allerlei Obst ve r teilt war. Zwei Teller, Besteck, Gläser und ein Saftkrug standen ebenfalls bereit.
»Moment«, sagte er. »Da eine Wasserlandung nicht geplant war …« Er löste sich vor ihr auf und war drei Sekunden später erneut an i h rer Seite, um sie mit einem großen weichen Handtuch trockenzuru b beln.
Jenna ließ sich die Massage gefallen, genoss das tropische Klima, das sanfte Rauschen der Wellen, die herrliche Abgeschiedenheit und sogar die Sandkörner zwischen ihren Zehen. Nur sie und Kyrian im Paradies.
Er zog sie an sich, um sie zu küssen, bevor er ihr das Handtuch um die Hüften wickelte.
Jenna setzte sich auf die Decke,
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