Dunkle Träume (Wächterschwingen) (German Edition)
Geisterstadt. Wo waren nur die Touristen, wenn man sie brauchte? Kyrians Gehirn begann wieder zu hämmern.
»Was sucht ihr hier?«
Die Alte öffnete die Faust. Ein gelber Kristall lag in ihrer Hand. Sofort schnitt erneut ein scharfer Schmerz durch seinen Kopf. Kein Zauber, sondern dieser Quarz verursachte die Höllenqualen. Kyrian kannte solche Steine sonst nur von den Magiern, die bei ihnen alle möglichen Schutzfunktionen erfüllten.
»Dieser Kristall …«, knurrte er. »Mein Kopf zerspringt gleich!«
Jenna rieb sich über die Stirn. »Ich glaube, jetzt spüre ich auch was.«
Die Bäuerin starrte sie erschrocken an und murmelte: »Eng’dsch…«
Ein elbischer Zauber. Gefahr!
Kyrian legte die Arme um Jenna und translozierte sich mit ihr z u rück ins Cottage, noch bevor die Alte den Zauber zu Ende gespr o chen hatte. Natürlich hätte er gegen sie kämpfen können, doch das Risiko, dass Jenna verletzt wurde, war ihm zu groß. Außerdem hätte er es keine Sekunde länger mehr unter diesen Tortouren ausgehalten.
Er stand mit Jenna im Wohnraum des Ferienhauses; sie waren in Sicherheit.
»Ich wusste es«, sagte sie atemlos. Der Ortswechsel hatte ihr säm t liche Luft aus den Lungen gepresst. So erging es vielen beim ersten Mal. »Du warst in meinem abgeschlossenen Zimmer! Das seltsame Verschwinden der Najaden, deine vermeintliche Tätowierung … Sie zeigt mir, dass du von Dunkelelfenkriegern abstammst.« Steif hing sie in seinen Armen.
Verdammt, was sollte er jetzt sagen? Langsam ließ er sie los. »Bitte, hab keine Angst.«
»Das hab ich nicht, Kyr. Ich hab schon vermutet, dass du ein Dunkelelf bist.«
Hatte sie? »Nur zur Hälfte«, erwiderte er und machte zwei Schritte zurück. Jenna stellte jedoch kaum eine Gefahr für ihn dar; ihre Za u berkünste waren nicht der Rede wert. »Du hast keine Angst vor mir? Warum? Dunkelelfen sind eure Feinde.« Und in ihm floss Kri e gerblut. Zwar hatte er keine Ahnung, wer genau sein Erzeuger war, aber die Stammeszeichen waren eindeutig. Nur bei den männlichen Nac h fahren einer alten, mächtigen Kriegerkaste bildeten sie sich.
Fassungslos starrte Jenna ihn an. Sie sah enttäuscht aus. Verletzt. Ihre Augen zitterten, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen. »Ich spüre, dass du was verheimlichst, aber wenn du mir etwas antun wolltest, hättest du es längst getan. Also, was wird hier gespielt?«
Sein Magen verkrampfte sich. Wenn sie wüsste … »Und was spielst du mir vor? Warum hast du nicht gesagt, dass du eine Elfe bist? Eine Lichtelfe.« Isla … Die Bäuerin hatte Isla in Jenna erkannt, bestimmt!
Kopfschüttelnd wanderte sie durch den Wohnraum und rieb sich über die Stirn. »Das kann nicht sein, wie kommst du da drauf?«
Kyrian fühlte, dass sie wirklich nichts wusste. »Jetzt mal rein the o retisch«, sagte er, »was wäre, wenn deine Mutter eine Lichtelfe gew e sen wäre?«
Jenna blieb stehen und sah auf den Boden. Dabei rubbelte sie sich über die Schläfen. »Das sogenannte Hexengen sitzt auf dem X-Chromosom und wird gonosomal dominant vererbt. Mein Vater hat mir also sein X-Chromosom abgegeben, daher hab ich seine Kräfte geerbt. Die bei mir aber nicht besonders stark sind. Wäre meine Mutter eine Elfe …« Sie runzelte die Stirn und begann erneut, durchs Zimmer zu tigern. »Ich weiß nicht auswendig, wie das bei den Elfen ist. Wenn Elfenmagie auch dominant auf dem X-Chromosom ve r erbt wird, und mal angenommen, meine Mutter wäre eine Elfe, dann hätte ich die Fähigkeit zu fünfzig Prozent geerbt.«
Also war es möglich – Jenna konnte zur Hälfte eine Elfe und zur Hälfte eine Hexe sein. Von allen anderen Dingen, die sie vor sich hin murmelte, verstand er nichts. »Was ist mit deinen Ohren? Was, wenn dein Vater dich angelogen hat und er dich operiert hat, damit ni e mand deine elbische Herkunft erkennt?«
Jenna fasste sich ans Ohr. »Warum sollte er das tun?« Erneut sah sie verdammt zerknirscht aus.
»Um dich zu schützen«, sagte er und nahm sie in die Arme. Plöt z lich wollte er sie beschützen, mehr denn je. Vor seiner Art und allen, die ihr schaden wollten.
Seufzend legte sie den Kopf an seine Brust. »Wovor sollte mein Vater mich schützen wollen? Die Lichtelfen sind nicht unsere Fei n de.«
Aber die Dunkelelfen, die eine Lichtelfe suchen … »Diese Bäuerin war scheinbar auch dir nicht mehr wohlgesinnt, als du ebenfalls Kopfweh bekommen hast.« Plötzlich begriff Kyrian die Zusamme n hänge. Die Gerüchte mussten wahr sein.
Weitere Kostenlose Bücher