Dunkle Träume (Wächterschwingen) (German Edition)
konnte. Vielleicht gab es einen anderen Weg, Myra aus der Festung zu holen. Doch dann wären sie für immer auf der Flucht. Wenn sie es überhaupt aus dem Gebäude schafften. Erst dann würde er sich mit Myra translozieren können. Wahrscheinlicher war alle r dings, dass Lothaires Wachen sie längst getötet hätten, bevor sie den Ausgang erreichten.
»Meinst du, wir finden in Rudston einen Hinweis?«, fragte er. Sie hatten sich zuvor über diese Ortschaft im Internet informiert. Es war ein Kuhkaff, in dem kaum mehr als eine Kirche und ein paar Häuser standen.
»Ich weiß nicht«, sagte sie leise. »Vielleicht fahren wir besser nach Hause.«
Okay, sie wollte offensichtlich nicht reden, also hielt er den Mund.
Sie mussten nicht bis in den Ort fahren, denn die Kirche und der berühmte und angeblich größte Menhir Englands befanden sich auf einem Friedhof vor dem Dorf. Als er den Wagen vor der Kirche parkte, durchschnitt seinen Kopf ein so stechender Schmerz, als würde ihm jemand mit einer glühenden Eisenstange das Gehirn u m rühren. Hastig stellte er den Motor ab und presste die Handflächen gegen die Stirn. Das war ein völlig anderes Kaliber als seine mo r gendlichen Kopfschmerzen.
»Was hast du?« Jenna war sofort bei ihm. Sie kniete auf der Mitte l konsole und berührte ihn an der Schulter.
»Höllisches Kopfweh.« Normalerweise war er nicht empfindlich, aber der Schmerz war so enorm, dass er kaum noch etwas sehen konnte. »Fuck«, fluchte er und schlug aufs Lenkrad. Er lehnte sich zurück und ballte die Hände so fest zusammen, dass sich seine Fi n gernägel in die Handflächen bohrten.
»Waren sie schon mal so heftig?«
»Noch nie.« Tränen liefen über seine Wangen, er konnte nichts d a gegen machen – der Schmerz war übermächtig. Hinzu kam eine Übelkeit, die so gigantisch war, dass sein Frühstück jede Sekunde Hallo sagen würde. Er riss die Tür auf und taumelte aus dem Auto. Keine Menschenseele befand sich in der Nähe, dennoch würde er sich nicht vor einer Kirche übergeben, so viel Anstand besaß er. K y rian schwankte weg vom Friedhof, lief über die verlassene High Street und brach schließlich zwischen einigen Bäumen zusammen. Zu seiner Überraschung war der Schmerz kaum noch spürbar und der Druck in seinem Magen weg.
Jenna kniete an seiner Seite, ihr Handy in der Hand. »Ich rufe jetzt Noir an und dann soll Nicolas sofort ein Portal in die Klinik scha f fen.«
Er nahm ihr das Smartphone aus der Hand und lehnte sich an e i nen Baumstamm. »Es geht schon wieder.«
Jenna öffnete den Mund, um zu protestieren, aber er unterbrach sie. »Wirklich, es geht mir viel besser.«
Sie schüttelte den Kopf und kniff die Lider zusammen. »Das war der seltsamste Migräneanfall in der Geschichte der Medizin. Du musst sofort in die Röhre.«
»Da war ich schon«, murmelte er. Es hatte ihm damals überhaupt nicht gefallen, so durchleuchtet zu werden. Er hatte Panik gehabt, jemand würde irgendetwas Dunkelelbisches an ihm erkennen.
»Das könnte auch ein Schlaganfall gewesen sein. Wenn ein Blutg e fäß geplatzt ist, kannst du sterben oder für den Rest deines Lebens behindert sein«, sagte sie, den Tränen nahe. »Okay, du tust sofort, was ich sage, oder ich rufe Noir an.«
Jetzt stand ihm der Mund offen. Außer Myra hatte sich nie jemand solche Sorgen um ihn gemacht.
»Lächle«, befahl Jenna.
»Warum?«
»Tu es einfach!«, rief sie und sah alles andere als freundlich aus.
Er grinste sie wahrscheinlich so dumm an, dass sie dachte, er wäre verrückt. Was er auch sein musste, schließlich hatte er den Befehl einer Hexe ausgeführt.
»Okay«, murmelte sie. »Streck die Arme aus, Handflächen nach oben.«
Er tat ihr auch diesen Gefallen. »Soll ich noch auf einem Bein hü p fen, einen Purzelbaum machen oder …« Translozieren?
Hörbar atmete sie auf und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. »Keine Symptome für einen Schlaganfall.« Unvermittelt setzte sie sich auf seinen Schoß.
Er zog sie an sich und Jenna vergrub ihr Gesicht an seiner Hal s beuge. »So schnell sterbe ich nicht, Hexe. Da hab ich schon Schli m meres durchgemacht.« Beruhigend streichelte er ihren zitternden Rücken. Außer in seinen ersten Lebensjahren hatte er nie Geborge n heit erfahren und wusste nicht, ob er Jenna jetzt ein wenig davon abgab. Er wusste nicht einmal, ob er fähig war, zu lieben. Richtig zu lieben. Einen Partner, nicht seine Schwester, denn das war eine and e re Art von Liebe. Aber er
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