Dunkle Visionen
sie.
„So, jetzt ist es schon viel besser“, stellte er zufrieden fest. „Du willst doch sicher nicht, dass dich das FBI wegen deines Aussehens ins Kreuzverhör nimmt, oder?“ Er hob diabolisch grinsend eine Augenbraue.
Sie wollte erneut protestieren, aber dann zuckte sie nur die Schultern. „Ist es jetzt wirklich besser?“
„Ah, Madison, du siehst absolut umwerfend aus. Komm jetzt.“
Er hakte sich bei ihr unter, und obwohl das Lokal gerammelt voll war, nahm er sich das Recht, sich vorzudrängeln. Sie hatten schnell einen Sitzplatz.
Sie hatte erwartet, dass Kyle sich beim Essen unbehaglich fühlen würde, weil er außer ihr niemanden kannte, aber er schien sich merkwürdigerweise wohler zu fühlen als sie. Alle wussten von der bevorstehenden Galerieeröffnung seines Vaters, und ihr Lob für Roger Montgomerys Arbeiten und sein Engagement kannte kaum Grenzen. Madison, die nach und nach anfing, sich zu entspannen, vergaß das seltsame Gefühl, beobachtet zu werden, das sie vorhin im Strandhaus beschlichen hatte. Die Stimmung in dem Lokal war gut, und sie befand sich in angenehmer Gesellschaft.
Kyle hatte Erbarmen mit ihr und ritt Gott sei Dank nicht mehr auf der Tatsache herum, dass sie die Stadt verlassen hatte, ohne jemandem Bescheid zu geben. Er ließ sich sogar herab, ihr noch vor dem Essen zu erzählen, dass ihr Vater gewusst hatte, dass sie in seinem Haus wohnen würde, weil Jordan Adair am Nachmittag mit Darryl telefoniert hatte. Dann belegte Michelle ihn mit Beschlag, aber dagegen hatte Madison nichts einzuwenden. Sie begann endlich, sich wirklich zu entspannen. Die Gesellschaft und der Alkohol hatten eine beruhigende Wirkung auf sie. Selbst die Erinnerungen an ihre Vision verblassten nach und nach. Mitten im Gespräch hob sie überrascht den Kopf, als sie einen erfreuten Aufschrei von der anderen Seite des Raums her hörte. Eine Sekunde später kam eine zierliche Gestalt auf ihren Tisch zugeschossen. Sheila.
„Madison! Was für ein herrlicher Zufall! Und Kyle Montgomery. Oh, wie mich das freut.“
„Sheila, was für eine Überraschung“, sagte Madison hilflos. Kyle zog einen Stuhl für Sheila heraus, und Madison stellte sie den anderen am Tisch vor. „Sheila spielt Keyboard bei den Storm Fronts“, erklärte sie.
„Ja, natürlich, deine wunderbare Band“, sagte Jaime lebhaft. „Ich habe Sie schon mit Madison spielen sehen“, wandte er sich dann direkt an Sheila und küsste ihr zur Begrüßung die Hand. „Leider sind wir einander bisher nicht vorgestellt worden.“
Sheila war begeistert. „Natürlich kenne ich Ihre Arbeiten auch sehr gut! Sie sind sensationell.“
„Nein, wirklich, Sie sind zu freundlich“, protestierte Jaime geschmeichelt. „Nun, ab und an werden wir alle von der Muse geküsst,
sí
?“
„Sheila, wir würden uns freuen, wenn du dich zu uns setzt“, sagte Madison. Gott, sie log, ohne rot zu werden. Und Sheila war eine Freundin! „Aber natürlich verstehen wir, wenn es nicht geht, weil du mit Freunden hier bist.“
„Was für ein Glück! Ich war hier, um den Geburtstag meiner Schwester zu feiern, aber sie ist gerade mit ihrem Mann – und Mom und Dad – gegangen.“
„Ja, was für ein Glück“, stimmte Madison wenig begeistert zu.
Sheila setzte sich zu ihnen und riet ihnen zu dem Bier vom Fass, das hier ausgeschenkt wurde. Madison hatte nicht vorgehabt, noch mehr Alkohol zu trinken, aber jetzt überlegte sie es sich anders. Als Hauptgericht bestellten alle fangfrischen Fisch, und als Vorspeise nahmen sie in Speckstreifen eingewickelte Shrimps oder Muschelsuppe.
Die Unterhaltung drehte sich erst um Musik, dann um bildende Kunst. Madison, die am Ende des Tisches saß, weit weg von Kyle und Sheila, hörte, dass Kyle sich lebhaft an der Diskussion beteiligte. Sie beobachtete ihn und sann darüber nach, warum er sein eigenes Licht die Malerei betreffend so unter Scheffel stellte. Doch abgesehen davon schien es, dass er ein echter Kunstliebhaber war und der Arbeit seines Vaters eine größere Wertschätzung entgegenbrachte, als sie bisher vermutet hatte.
Einmal ertappte er sie dabei, wie sie ihn beobachtete. Es war ein seltsamer Moment, weil ihr aus irgendeinem Grund klar war, dass er ihre Gedanken lesen konnte, und das machte sie irgendwie merkwürdig verwundbar.
Eine nette Umkehrung, dachte sie.
Das Gespräch plätscherte dahin. Man aß, trank, plauderte und lachte. Madison fühlte sich behaglich, entspannt, sicher.
Aber es war unvermeidlich, dass Kyle
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