Dunkle Visionen
dass er sie beobachtete. Dass er davon träumte, von ihrer Süße zu kosten. Sie wusste nicht, was für ein guter Liebhaber er war. Vielleicht würde er ihr irgendwann wehtun müssen. Nur um ihr klarzumachen, dass sie ihn nicht verletzen durfte. Und damit sie verstand, wie groß ihre Lust nach dem Schmerz sein konnte.
Er würde sich viel Zeit lassen mit ihr. Viel Zeit …
Unvermittelt zuckte er zusammen. Er hatte plötzlich das unangenehme Gefühl, selbst beobachtet zu werden. Er schaute sich suchend um. Niemand, niemand, niemand konnte ihn sehen außer vielleicht …
Der anderen. Der, die er
wirklich
wollte. Eines Tages, oh Gott, ja, eines Tages! Plötzlich wurde ihm schwindlig. Sie hatte geschaut und geschaut und geschaut – und doch war es ihr nicht gelungen, ihn zu sehen.
Aber er hatte sie gesehen.
Während sie … sie hatte ihn nicht entdecken können. Oh Gott, sie waren alle so blind. Er hätte am liebsten laut aufgelacht, als ihm ein altes biblisches Sprichwort in den Sinn kam.
Niemand ist so blind wie der, der nicht sehen will. Sie waren alle mit Blindheit geschlagen.
Und doch …
Sie konnte ihm gefährlich werden. Und wenn sie ihm zu nah kam, wenn Gefahr bestand, dass sie …
Er würde es ganz langsam angehen lassen mit ihr. Weil es genauso sein würde wie damals, vor langer Zeit. Er betete sie an, obwohl er sie verabscheute. Sie war die Bedrohung. Und er würde sie bis in die kleinste Kleinigkeit wissen lassen, was er mit ihr vorhatte.
Im Augenblick aber lauerte er noch im Schatten und wartete geduldig darauf, dass sich eine Wolke vor den Mond schob, bevor er seinen nächsten Schritt machte.
Jassy Adair war sich sicher, dass sie den Mörder bald fassen würden. Kyle verstand sein Handwerk, und das Täterprofil, das er erstellt hatte, zeichnete ein sehr genaues Bild von dem Täter: ein anziehender Mann, der sich gut auszudrücken wusste und der es verstand, die Frauen mit seinem Charme um den kleinen Finger zu wickeln. Ein Mann, der ein scheinbar normales Leben führte und von seiner Familie und seinen Freunden akzeptiert wurde.
Dank der übersinnlichen Fähigkeiten ihrer Schwester wusste man, nach welcher Art Hotelzimmer man suchen musste, und wenn man erst noch näher dran war, würde Madison eine noch größere Hilfe sein, dessen war Jassy sich gewiss. Wissenschaft und Spiritualität – oder was es auch immer sein mochte, was Madison hatte – konnten Hand in Hand arbeiten. Die Wissenschaft konnte den Beweis erbringen, dass Madisons Visionen Realität waren.
Der Mörder würde gefasst werden …
Dann hörte sie wieder ein Geräusch, und sie fragte sich erneut, ob sie ihre Haustür abgeschlossen hatte. Plötzlich bekam sie Angst.
Sie trat aus der Dusche und griff nach dem Badetuch. Noch halb nass tappte sie barfuß den hellerleuchteten Flur hinunter, auch wenn ihr ihr Verstand sagte, dass dies das Dümmste war, was sie tun konnte. Sie hätte das Licht ausmachen und sich irgendwie zur Hintertür schleichen müssen.
Zu spät.
Er war bereits da.
Wie angewurzelt, eingehüllt in ihr Badelaken, stand sie da und starrte ihn an.
„Türen sind zum Abschließen da“, sagte er sehr sanft. „Du solltest es eigentlich wissen, dass man Türen immer abschließen sollte. Ausgerechnet du …“ Er seufzte. „Du wirst es lernen.“
Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen.
Die Worte weigerten sich zu kommen. Weil er bereits einen Schritt auf sie zu machte. „Oh, mein Gott, bist du schön. So perfekt und wunderschön. Und die Art, wie du dich mit deinem Körper ausdrückst …“
Ohne sich abzutrocknen, wickelte sich Kaila hastig in das Badetuch ein; die Dusche ließ sie laufen. Sie schlich sich zur Badezimmertür und lugte vorsichtig durch den Spalt, wobei sie aufpasste, dass sie von draußen nicht gesehen werden konnte.
Irgendjemand war im Haus.
Instinktiv hätte sie am liebsten die Tür zugemacht und sich im Bad eingeschlossen. Sie dachte an ihr Handy, das in ihrer Handtasche neben ihrem Bett war.
Sie konnte die Tür nicht hinter sich zuwerfen und sich im Bad einschließen; ihre Kinder waren im Haus. Sie musste sie beschützen.
Eine ganze Weile, die ihr wie eine Ewigkeit erschien, spähte sie durch den Türspalt, ohne irgendetwas Verdächtiges zu sehen. Dann schlich sie sich leise nach nebenan ins Schlafzimmer. Sie sah niemanden.
Aber die Terrassentür stand einen Spalt offen. Ein Luftzug bewegte die halb zugezogenen Vorhänge.
Mit Herzklopfen ging sie darauf zu.
„Kaila?“
Beim
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