Dunkle Wasser
Unsere-Jane?«
Wieder lachte er, als ich es ihm erzählte. »Deine Schwester Fanny scheint ja eine tolle Nummer zu sein. Werde ich sie jemals treffen?«
»Das hoffe ich doch«, sagte ich, runzelte aber besorgt die Stirn. »Sie lebt jetzt bei Reverend Wise und seiner Frau. Sie nennen sie Louisa, nach ihrem zweiten Vornamen.«
»Aha, der gute Reverend Wise«, sagte Cal sehr ernst und nachdenklich, »der wohlhabendste und erfolgreichste Mann in Winnerrow.«
»Magst du ihn nicht?«
»Mir ist jeder Mann verdächtig, der so erfolgreich und dabei so fromm ist.«
Es war ein gutes Gefühl, mit Cal zusammen zu sein, mit ihm zu arbeiten, ihm zuzuschauen und dabei zu lernen. Vor einer Woche noch hätte ich es mir nie vorstellen können, daß ich mich so wohl bei einem Mann fühlen könnte, den ich kaum kannte. Ich war schüchtern, aber begierig, mich mit ihm anzufreunden, ihn als Ersatzvater und Vertrauten zu gewinnen.
Jedesmal wenn er mich anlächelte, wußte ich, daß er dies alles für mich sein könnte.
Unser Auflauf brutzelte im Ofen, das Brot, das ich gebacken hatte, war abgekühlt, aber Kitty war noch immer nicht zu Hause und hatte auch nicht Bescheid gesagt. Ich sah, wie Cal ein paarmal verstohlen auf seine Armbanduhr sah, tiefe Sorgenfalten hatten sich zwischen seinen Brauen eingegraben.
Warum rief er nicht einfach an, um nachzufragen?
Kitty kam erst um elf Uhr abends nach Hause, während Cal und ich im Wohnzimmer vor dem Fernseher saßen. Der Rest des Auflaufs war schon längst angetrocknet und daher bestimmt nicht mehr besonders schmackhaft. Trotzdem aß sie mit Appetit, als mache ihr lauwarmes und vertrocknetes Essen nichts aus. »Hast’s allein gekocht?« fragte sie mich dann.
»Ja, Mutter.«
»Hat Cal dir nicht geholfen?«
»Doch, Mutter. Er hat mir gesagt, ich soll keine kohlenhydrathaltigen Speisen kochen, und er hat mir beim Salat geholfen.«
»Hast du deine Hände vorher mit Lysol desinfiziert?«
»Ja, Mutter.«
»Okay.« Sie sah Cals ausdrucksloses Gesicht eindringlich an.
»Also gut, Mädchen, mach alles sauber; dann laß uns nach dem Baden ins Bett gehen.«
»Ab heute schläft sie hier unten«, sagte Cal mit stählerner Stimme und blickte sie mit kalten Augen an. »Nächste Woche gehen wir einkaufen und besorgen ihr neue Möbel und werden das Gerümpel im zweiten Schlafzimmer ausräumen. Wir lassen die Töpferscheibe drinnen und was du in den Schränken eingeschlossen hast, aber wir werden ein Doppelbett hineinstellen, einen Stuhl, einen Schreibtisch und einen Kleiderschrank.«
Es machte mir angst, wie sie ihn und dann mich ansah, große Angst.
Trotzdem erklärte sie sich einverstanden. Ich würde also wirklich ein eigenes Zimmer bekommen, ein richtiges Schlafzimmer – so wie Fanny bei Reverend Wise.
Es folgten Schultage und viele Stunden harter Arbeit. Früh aufstehen und spät zu Bett. Ich mußte immer noch aufräumen, nachdem Kitty zu Abend gegessen hatte, auch wenn sie erst um Mitternacht nach Hause kam. Ich bemerkte, daß Cal es gern hatte, wenn ich beim Fernsehen neben ihm saß. Jeden Abend bereiteten wir das Essen vor und aßen gemeinsam, wenn Kitty nicht da war. Ich fand mich langsam mit dem Stundenplan zurecht und begann ein paar Freundschaften zu schließen, mit Schülerinnen, die meine Aussprache nicht komisch fanden. Über meine zu großen, billigen Kleider oder meine schrecklich klobigen Schuhe äußerten sie sich nicht.
Endlich wurde es Samstag, und ich konnte ausschlafen. Kitty hatte Cal und mir erlaubt, Möbel einzukaufen, die ganz allein mir gehören würden.
Der bevorstehende Einkaufsbummel beflügelte mich, schon am Samstag in den frühen Morgenstunden die Hausarbeit zu erledigen. Cal hatte sich den halben Tag freigenommen. Er würde zu Mittag zurückkommen und eine Mahlzeit erwarten.
Was aßen die Städter zu Mittag, wenn sie zu Hause waren? Bis jetzt hatte ich nur in der Schule Mittag gegessen. Die gute Miß Deale hatte immer versucht, ihr Essen mit den vielen unterernährten Kindern in der Klasse zu teilen. Ich hatte noch nie in meinem Leben ein Sandwich gegessen, bevor sie mir eines aufgedrängt hatte. Das Schinken-Salat- und Tomatensandwich war meine Lieblingsspeise, während Tom Erdnußbutter mit Marmelade vorzog und Keith am liebsten Thunfischsandwiches aß.
Ich seufzte bei dem Gedanken, daß ich ohne ein Dankeschön von Miß Deale fortgegangen war, und ich mußte erneut seufzen, als ich an Logan dachte, der meinen Brief noch immer nicht beantwortet
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