Dunkle Wasser
zu
»sprechen«.
»Was ist dein Geheimnis?« fragte er mich lachend, während ein scheu aussehendes Zebra mir gerade mit seiner weichen Schnauze aus der hohlen Hand fraß. »Zu mir kommen sie nicht so wie zu dir.«
»Ich weiß es nicht«, sagte ich mit einem kleinen, geheimnisvollen Lächeln, denn Tom hatte das auch immer gefragt. »Ich mag die Tiere, und vielleicht spüren sie das auf irgendeine Weise.« Ich erzählte ihm dann von unserem Hühnerdiebstahl, und wie es mir nicht gelungen war, einen der Farmerhunde von meinen guten Absichten zu überzeugen.
Schließlich wurde es Herbst, und der frische Wind wirbelte die Blätter durch die Luft. Melancholische Gedanken an die Berge und an Großvater überkamen mich jetzt. In einem Brief hatte mir Logan
geschrieben, wo Vater Großvater
untergebracht hatte, daraufhin schrieb ich ihm einen Brief.
Großvater konnte zwar nicht lesen, aber es gab bestimmt jemanden, der ihm den Brief vorlesen würde. Ich fragte mich, ob Fanny ihn wohl jemals besuchte und ob Vater hie und da nach Winnerrow kam, um Fanny und Großvater zu sehen. So viele Fragen gingen mir durch den Kopf, daß ich manchmal wie betäubt umherwandelte, so als wäre ein Teil von mir noch in den Willies, den finsteren Bergen.
Ich pflanzte Tulpen, Narzissen, Iris und Krokusse, wobei Cal mir half, während Kitty im Schatten saß und herumkommandierte. »Ihr müßt es richtig machen. Mach mir bloß nicht meine teuren Tulpenzwiebeln aus Holland kaputt, du Hillbilly-Miststück.«
»Kitty, wenn du sie noch einmal so nennst, dann schmeiße ich dir die ganzen Regenwürmer in den Schoß«, drohte Cal.
Sofort sprang sie auf und verschwand im Haus. Wir sahen uns an und lachten schallend. Mit seiner behandschuhten Hand berührte er mein Gesicht. »Warum hast du keine Angst vor Würmern, Käfern und Spinnen? Sprichst du auch ihre Sprache?«
»Nein. Ich mag sie genausowenig wie Kitty, aber ich habe keine Angst vor ihnen.«
»Versprichst du mir, daß du mich an meinem Arbeitsplatz anrufst, wenn es hier sehr schlimm wird? Laß es auf keinen Fall zu, daß sie dir irgend etwas antut – versprichst du mir das?«
Ich nickte, und für einen kurzen Augenblick hielt er mich so fest an sich gedrückt, daß ich das starke Pochen seines Herzens spürte. Ich blickte auf und entdeckte Kitty, wie sie uns hinter einem Vorhang beobachtete. Schnell trat ich zurück und tat so, als hätte er mich wegen einer kleineren Verletzung getröstet.
»Sie sieht uns, Cal.«
»Das ist mir gleichgültig.«
»Aber mir nicht. Ich kann dich zwar anrufen, aber du brauchst eine gewisse Zeit, bis du zu Hause bist – und inzwischen kann sie mir die Haut abziehen.«
Er starrte mich lange an, als hätte er die ganze Zeit über nicht geahnt, daß sie dazu fähig wäre, und würde es jetzt erst begreifen. Er war immer noch betroffen, als wir das Gartenwerkzeug einpackten und hineingingen. Kitty war in einem Stuhl eingeschlafen.
Dann waren da die Nächte. Bald mußte ich mich nicht mehr anstrengen, nichts zu hören, denn Cal diskutierte nicht mehr mit Kitty; seine Küsse waren nicht mehr leidenschaftlich, sondern nur noch freundliche Küßchen auf die Wange, als begehrte er sie nicht mehr. Ich konnte ihm nachfühlen, wie sich Ohnmacht und Wut in ihm stauten, denn mir ging es ebenso.
Zu Thanksgiving briet ich meinen ersten Truthahn aus dem Supermarkt, und Kitty lud alle ihre »Mädels« ein, um mit ihren Kochkünsten anzugeben. »Ist doch gar nichts«, wiederholte sie mehrmals, als man ihr über das Essen und ihren Haushalt Komplimente machte. »Hab’ ja so wenig Zeit, Heaven hilft mir manchmal«, gestand sie großzügig, während ich den Tisch deckte, »aber ihr wißt ja, wie die jungen Mädchen heute sind, faul und nur Jungens im Kopf.«
Weihnachten kam, und ich erhielt schäbige, kleine Geschenke von Kitty und teure von Cal, die er mir heimlich zusteckte. Er und Kitty gingen nun auf viele Partys und ließen mich allein zu Hause vor dem Fernseher. Erst jetzt erfuhr ich, daß Kitty Alkoholprobleme hatte. Ein Drink löste eine Kettenreaktion aus, und sie trank einen nach dem anderen, und oft mußte Cal sie ins Schlafzimmer tragen, sie ausziehen und ins Bett legen, manchmal sogar mit meiner Hilfe.
Es war mir unangenehm, eine hilflose Frau zusammen mit ihrem Mann zu entkleiden, das Eindringen in die Privatsphäre machte mich verlegen. Aber unausgesprochen herrschte eine enge Verbindung zwischen mir und Cal. Er sah mir in die Augen – und ich in seine.
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