Dunkle Wasser
seine Haare waren triefnaß. Er hatte nur ein Handtuch um die Hüften geschlungen. »Was ist los?« fragte er besorgt und nahm mich in seine Arme. Er neigte sein nasses Gesicht zu mir herab, und ich klammerte mich in Todesangst an ihn. »Warum bist du so verschreckt?«
Es sprudelte aus mir heraus; ich erzählte von Chuckles im Keller, daß Kitty dem Hamsterweibchen etwas um die Mitte gebunden, dann fest zugezogen und damit das arme, hilflose Geschöpf getötet haben mußte.
Sein Gesicht verhärtete sich. Er ließ mich los und griff nach seinem Morgenrock. Dann eilte er ins untere Badezimmer, ich hinter ihm her. An der Badezimmertür angelangt, blieb ich stehen, denn ich fühlte mich nicht imstande, Chuckles noch einmal anzusehen. Kitty war verschwunden. »Hier liegt nichts in der Wanne, Heaven«, sagte er und ging auf mich zu. »Alles blitzsauber…«
Ich schaute selbst nach – es stimmte. Das tote Hamsterweibchen und seine Jungen waren nicht mehr da. Die Badewanne war völlig sauber.
Immer noch nur mit einem Handtuch bedeckt, lief Cal mit mir in den Keller. Der Käfig war leer, und die Gittertür stand sperrangelweit offen.
»Was macht ihr da unten?« schrie Kitty zu uns herunter.
»Heaven, dusch dich endlich und beeil dich. Möcht’ nicht zu spät zum Gottesdienst kommen.«
»Was hast du mit Chuckles gemacht?« schrie ich, als ich wieder im Gang war.
»Sprichst du von der Ratte, die ich getötet habe? Hab’ sie weggeschmissen. Wolltest du sie etwa aufbewahren?« Sie wandte sich mit einem honigsüßen Lächeln an ihn: »Sie ist mir bös, weil ich eine ekelhafte, alte Ratte getötet habe! Du weißt doch, daß ich so schmutzige Dinge wie Ratten nicht in meinem Haus vertrage.« Ihre eiskalten Augen durchbohrten mich.
»Geh schon, Heaven«, drängte mich Cal. »Ich werde mit Kitty sprechen.«
Ich wollte nicht gehen. Ich wollte bleiben und es auskämpfen; ich wollte, daß Cal sah, wer Kitty eigentlich wirklich war, eine Psychopathin, die man einsperren sollte.
Aber ich war zu schwach und gehorchte. Ich duschte, wusch meine Haare, machte sogar das Frühstück, während Kitty die ganze Zeit mit steigender Erregung abstritt, jemals einen Hamster gesehen zu haben. Ja, sie behauptete, daß sie nicht einmal wüßte, wie einer aussieht, und außerdem ginge sie nie und unter gar keinen Umständen in den Keller.
Sie fixierte mich mit ihren blassen Augen. »Hass’ dich, weil du meinen Alten gegen mich aufwiegeln wolltest! Ich werd’ in die Schule gehen und erzählen, was du dem armen Geschöpf angetan hast und daß du mir das Ganze in die Schuhe schieben wolltest. War doch deins, oder? Würd’ nie nicht so was Gemeines tun… Du hast’s getan, nur um mich zu beschuldigen! Kannst solange hierbleiben, bis du mit der Schule fertig bist, aber dann mußt du abhauen! Fahr zur Hölle von mir aus.«
»Chuckles war trächtig, Kitty! Vielleicht war das zuviel für dich!«
»Cal, nu’ hör dir das mal an, wie dieses Mädchen lügt! Hab’
überhaupt keinen Hamster nicht gesehen – du?«
Nahm Cal vielleicht an, daß ich so etwas Furchtbares tun würde? Nein, nein, las ich in seinen Augen. Schweigen wir darüber, bitte.
Warum sah er nicht im Mülleimer nach? Warum sagte er ihr die Untat nicht auf den Kopf zu?
Der Alptraum war auch in der Kirche nicht vorüber.
»Wunderbare Gnade… Wie süß des Wortes Klang…«
Der Gesang war hingebungsvoll. Neben Kitty stehend, in meinen besten Kleidern, fühlte ich mich aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Wir sahen wie anständige, untadelige Bürger und gottesfürchtige Christen aus, dabei ging mir die Erinnerung an ein armes, kleines, totes Hamsterweibchen ununterbrochen im Kopf herum.
Kitty legte ihren Opferpfennig auf den Teller, der gerade weitergereicht wurde; Cal tat das gleiche. Ich starrte auf den Teller und blickte dann in das gleichgültige Gesicht des Diakons, der den Teller herumgehen ließ. Ich weigerte mich, ein Geldstück draufzulegen. »Mach sofort«, zischte Kitty und stieß mich mit spitzem Ellbogen in die Seite. »Meine Freunde sollen nicht denken, daß du eine undankbare Heidin bist.«
Ich erhob mich und verließ die Kirche. Hinter mir vernahm ich Gemurmel. Kittys Geisteszustand hatte meine Sicht der Dinge verändert; ich sah mir die Leute an und fragte mich, was sie wohl hinter ihrer Fassade verbargen.
Ich rannte fast die Straße hinunter und ließ Cal und Kitty in der Kirche zurück. Zwei Häuserblocks weiter hatte mich Cal mit dem Auto eingeholt und
Weitere Kostenlose Bücher