Dunkle Wasser
sah ich Kitty auf dem Bett liegen.
Sie reagierte überhaupt nicht, so als würde sie mich gar nicht wahrnehmen. Sie war wie gelähmt. Als Cal aufgestanden war, hatte er wohl geglaubt, daß sie noch schliefe. Als Cal dann in die Küche kam, sagte ich ihm, daß Kitty wohl sehr krank sei.
Er rief einen Krankenwagen, und sie wurde sofort in eine Klinik gebracht.
Dort untersuchte man sie nach allen Regeln der medizinischen Kunst. Diese erste Nacht alleine mit Cal im Haus war sehr unangenehm. Ich hatte das unleugbare Gefühl, daß Cal mich begehrte und mein Liebhaber werden wollte. Ich merkte es an der Art, wie er mich ansah, und an dem langen, peinlichen Stillschweigen, das immer wieder zwischen uns aufkam. Das unbeschwerte Verhältnis, das wir einst gehabt hatten, war dahin; ich fühlte mich jetzt leer und verloren.
Indem ich den Tagesablauf nun so anstrengend gestaltete, daß wir beide abends immer müde und erschöpft waren, hielt ich ihn von mir fern. Außerdem bestand ich darauf, jede freie Minute bei Kitty zu verbringen. Kittys Zustand besserte sich nicht, außer daß sie ein paar Worte sprach. »Nach Hause«, flüsterte sie immerzu, »ich will nach Hause.« Noch nicht, sagten die Ärzte.
Jetzt gehörte das Haus mir, ich konnte tun und lassen, was ich wollte. Ich hätte die vielen hundert Pflanzen, die so intensive Pflege brauchten, wegwerfen können, hätte einige der grellbunten Keramikstücke auf dem Speicher verstauen können
– aber ich tat nichts dergleichen. Ich führte den Haushalt genauso weiter, wie ich es von Kitty gelernt hatte. Ich kochte, putzte, wischte Staub, benutzte den Staubsauger, auch wenn die Arbeit mich erschöpfte, denn ich wollte meine sündhaften Handlungen mit Cal büßen. Ich machte mir Vorwürfe, daß ich seine Begierde nach mir erweckt hatte. Schmutzig war ich, so wie Kitty es immer gesagt hatte. Es war die Casteel-Hillbilly-Verderbtheit. Aber dann wieder dachte ich Nein!, ich war die Tochter meiner Mutter, eine halbe Bostonerin… aber… aber…
ich hatte die Schlacht verloren.
Ich war die Schuldige.
Ich hatte es provoziert. Es ging mir wie Fanny, die auch dazu getrieben wurde.
Natürlich wußte ich schon lange von Cals geheimer Leidenschaft für mich; ein Mädchen, zehn Jahre jünger als er, das ihm von Kitty auf tausenderlei Arten praktisch angeboten worden war. Ich verstand Kitty nicht, aber seit dem furchtbaren Tag, an dem sie meine Puppe verbrannt hatte, hatte sich sein Verlangen nach mir fast ins Unendliche gesteigert. Er kannte keine anderen Frauen, er hatte eigentlich keine richtige Ehefrau, und er war zweifellos ein normaler Mann, der eine Art Ventil brauchte. Wenn ich ihn immer abwies, würde er mich dann in Ruhe lassen? Ich liebte ihn, und ich fürchtete mich vor ihm; ich wollte ihm gefallen und ihn gleichzeitig auf Distanz halten.
Jetzt konnte er mich jedoch öfter abends ausführen, da Kitty im Krankenhaus lag und alle erdenklichen Untersuchungen über sich ergehen lassen mußte. Trotzdem fand man nichts.
Und Kitty sagte nichts, was den Ärzten einen Hinweis auf ihre geheimnisvolle Krankheit hätte geben können.
In einem kleinen Sprechzimmer erkundigte sich Kittys Ärzte-Team bei Cal und mir, ob wir ihnen weiterhelfen könnten, aber auch wir konnten ihnen nichts sagen.
Auf dem Rückweg vom Krankenhaus sagte Cal kein einziges Wort. Ich auch nicht. Ich fühlte, daß er litt und enttäuscht und einsam war – meinetwegen. Wir kamen beide aus unterschiedlichen Welten, aber die Kämpfe mit Kitty hatten bei uns beiden Narben hinterlassen, mit denen wir nun fertig werden mußten. In der Garage angekommen, stieg ich aus seinem Auto und rannte die Treppe hoch in mein Zimmer. Ich entkleidete mich, zog ein hübsches Nachthemd an und wünschte mir, daß ich mein Zimmer hätte abschließen können.
Es gab jedoch keine Schlüssel in Kittys Haus, außer für die Badezimmer. Unruhig legte ich mich ins Bett; ich fürchtete, daß er in mein Zimmer kommen, mit mir reden und mich schließlich zwingen würde… Dann konnte ich ihn nur noch hassen – wie meinen Vater!
Er tat nichts dergleichen.
Ich hörte, wie er auf seinem Plattenspieler Musik aufgelegt hatte, spanische Musik. Tanzte er ganz für sich allein? Mitleid überkam mich, und ich fühlte mich auch etwas schuldig. Ich stand auf, zog mir meinen Morgenrock über und ging vorsichtig zur Treppe. Auf dem Nachttisch lag ein halb gelesener Roman. Es ist die Musik, die mich anlockt, sagte ich mir.
Cal, der nicht mehr mit
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