Dunkle Wasser
nur eine halbe Frau, und ich kann nie mein Baby bekommen! Nie werd’ ich erfahren, wie das ist, sein eigenes Kind zu säugen! Haben mir schon gesagt, daß ich keinen Krebs hab’, aber ich weiß es, weiß es ganz genau!«
»Warst du denn schon beim Arzt, Mutter?«
»Ja, verdammt noch mal, ja! Was wissen die schon? Wenn man auf dem Totenbett liegt, dann wissen sie Bescheid!«
Wie eine Wahnsinnige hatte Kitty getobt, bis ich Cal angerufen und ihn gebeten hatte, sofort nach Hause zukommen. Dann ging ich wieder nach oben und fand Kitty auf ihrem großen Bett liegend, die Augen starr zur Decke gerichtet.
Aber ich konnte mich, verflixt noch mal, nicht so genau daran erinnern.
Nach unserer ersten, sehr guten Mahlzeit bei den Settertons half ich Maisie und Reva beim Geschirrspülen; dann leisteten wir Mr. Setterton auf der Veranda Gesellschaft. Es gelang mir, Cal leise an jenen Tag zu erinnern, während Reva Setterton oben herumfuhrwerkte und die Mahlzeit in Kitty hineinstopfte.
»Sie hat gegessen«, verkündete sie, als sie zurückgekehrt war und steif in ihrem Schaukelstuhl aus Rohr saß. »Bei mir ist noch keiner verhungert.«
»Reva, vor ein paar Wochen hat Kitty erzählt, daß sie einen Knoten in ihrer Brust gefunden hat. Sie sagte, daß sie zu einem Arzt gegangen sei und der kein bösartiges Geschwür gefunden habe – aber wie können wir sicher sein, daß sie wirklich zu einem Arzt gegangen ist? Immerhin, als sie dann zwei Wochen im Krankenhaus lag, haben die Ärzte sie genau untersucht und nichts Verdächtiges gefunden.«
Aus irgendeinem Grund stand Kittys Mutter abrupt auf und verließ die Veranda.
»Ist das alles?« rief Maisie mit erstaunt aufgerissenen, grünen Augen. »Wie dumm von ihr, sich so einzuigeln, bis sie Bescheid wußte… Sie hat aber auch wirklich große Dinger, was? Bei solchen kann man ja verstehen, daß sie nichts davon wissen wollte.«
»Aber die Ärzte haben sie gründlich untersucht«, warf Cal ein, der ganz in meiner Nähe saß.
»Ist doch Kitty völlig gleichgültig«, bemerkte Maisie erstaunlich ungerührt. »Brustkrebs liegt in unserer Familie.
Haben ‘ne lange Geschichte davon. Mutter hat beide Brüste verloren. Trägt jetzt falsche. Deswegen ist sie auch gegangen.
Kann’s nicht leiden, wenn man darüber spricht. Merkt man aber nicht, daß sie falsche hat, oder? Die Mutter unserer Mutter hat eine Brust wegoperiert bekommen und Vaters Mutter auch, dann ist sie gestorben, bevor man ihr die zweite abgenommen hat. Kitty hat schon immer ‘ne Höllenangst davor gehabt, eine Brust zu verlieren, sie ist ja so mächtig stolz auf ihre.« Maisie blickte nachdenklich auf ihre kleinen Brüste. »Im Vergleich zu ihr hab’ ich nicht viel, aber trotzdem würd’ ich nicht gern eine verlieren – wirklich nicht.«
Das also war es? War die Erklärung wirklich so einfach?
Etwas, woran weder die Ärzte noch Cal und ich gedacht hatten. Das Geheimnis, das sie gehütet hatte. Der Grund, weshalb sie sich in ihre eigene Welt zurückgezogen hatte –
dorthin, wo es keinen Krebs gab.
Nach zwei Stunden bereits merkte ich, daß sich Cal mir gegenüber anders verhielt, seit er bei den Eltern Kittys war.
Irgend etwas lag zwischen uns. Ich wußte nicht genau, was es war, obwohl ich mit dankbarer Erleichterung fühlte, daß er mich anscheinend längst nicht so brauchte wie früher.
Vielleicht war es Mitleid, daß er Kitty, wenn er an ihrer Bettkante saß und ihre Hand hielt, so gerührt anblickte. Ich stand an der Türschwelle und beobachtete, wie er Kitty zu trösten versuchte.
Was zwischen Cal und mir geschehen war, würde mein schmachvolles, schreckliches Geheimnis bleiben.
Unten auf der Veranda überlegte ich, was ich als nächstes unternehmen sollte – ich dachte an Tom. Sollte ich zunächst ihn besuchen und dann Fanny?
Logan – wann werde ich dich wiedersehen? Wirst du mich erkennen, wirst du dich freuen, daß ich zurück bin. Oder wirst du dich wieder von mir abwenden, wie das letzte Mal, als du mit deinen Eltern zusammen standest? Er hatte nie ein Wort darüber verloren, vermutlich war er der Meinung, ich hätte es nicht bemerkt.
In dieser ersten Nacht schliefen Maisie und ich in ihrem Zimmer, und für Cal wurde ein Bett in Kittys Raum aufgestellt. Sehr früh am nächsten Morgen war ich schon auf gestanden und angezogen, während die anderen noch in ihren Betten lagen. Kaum hatte ich einen Fuß auf die Treppe gesetzt, als Cal hinter mir meinen Namen rief: »Heaven, wohin gehst
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