Dunkle Wasser
Appartements über dem Geschäft. War er oben und beobachtete mich? Dann sah ich seine Mutter an einem der Fenster, bevor sie die Vorhänge zuzog und mich aussperrte. Ich wußte, daß sie mich für immer aus dem Leben ihres Sohnes ausschließen wollte.
Und wie recht sie hatte, wie recht…
Ich ging zur Brown Street, wo sich das einzige Motel der Stadt befand. Die zwei Zimmer, die Cal gemietet hatte, waren leer. Nachdem ich mich etwas erfrischt und trockene Kleidung angezogen hatte, ging ich wieder zurück in die Klinik. Dort traf ich Cal, der trostlos auf einem Sofa des Wartesaals saß und fahrig in einer Zeitschrift blätterte, die locker in seiner Hand lag. Als ich eintrat, hob er die Augen.
»Irgendwelche Veränderungen?«
»Nein«, gab er kurz angebunden zurück. »Wo warst du?«
»Ich habe gehofft, Logan anzutreffen.«
»Und?« erkundigte er sich trocken.
»Nichts…«
Er nahm meine Hand und hielt sie fest. »Was sollen wir tun?
Wie sollen wir mit so einer Sache leben? Heaven, ich hatte gehofft, daß ihre Eltern eine Lösung wären. Aber ich habe mich getäuscht. Sie werden ihre finanzielle Unterstützung zurückziehen. Jetzt kommt es auf mich und auf dich an und auf niemanden sonst, bis sie wieder gesund ist oder nicht mehr lebt…«
»Dann eben du und ich«, sagte ich und setzte mich, wobei ich seine Hand weiter in der meinen hielt. »Ich kann arbeiten gehen.«
Er sprach kein Wort mehr. So saßen wir eine Weile, während er die Wand anstarrte.
Wir wohnten zwei Wochen in dem Motel. Ich hatte Logan nicht mehr gesehen. Er war bestimmt wieder im College und hatte sich nicht einmal von mir verabschiedet. Die Schule begann wieder. Mir wurde nun sehr deutlich bewußt, daß ich vielleicht nie wieder einen Klassenraum betreten würde und daß ein College-Besuch nur ein flüchtiger Traum gewesen war, eine Wolke, die sich bei Sonnenuntergang schnell in nichts auflöste. Und ich fand auch keinen Job, obwohl ich geglaubt hatte, daß dies hätte einfach sein müssen, zumal ich neunzig Worte pro Minute schreiben konnte.
Langsam kündigte sich der Winter an. Ich hatte Tom zwar zweimal getroffen, aber seine Besuche waren so kurz, daß wir keine Zeit hatten, über die eigentlichen Probleme zu sprechen.
Buck Henry war immer dabei, und wenn er mich sah, funkelte er mich böse an und trieb Tom zur Eile an. Ich besuchte Großvater täglich in der Hoffnung, daß ich Vater dort einmal antreffen würde, aber er war nie dort. Immer wieder versuchte ich auch, Fanny zu sehen, aber sie kam jetzt nicht einmal mehr an die Tür. Ein schwarzes Dienstmädchen machte mir dann immer auf. »Miß Louisa spricht nicht mit Fremden«, erklärte sie mir und wollte nichts davon hören, daß ich Fannys Schwester und keine Fremde war.
Ich verabscheute das Motel und die Art und Weise, wie die Leute Cal und mich ansahen, obwohl jeder ein eigenes Zimmer bewohnte. Seitdem wir in Winnerrow waren, hatten wir uns nicht ein einziges Mal geliebt. Um am Gottesdienst teilzunehmen, fuhren wir in eine andere Stadt und beteten dort, denn mittlerweile war es uns klar, daß Reverend Wise uns nicht erlauben würde, seine Kirche zu betreten.
Eines Morgens erwachte ich frierend. Ein starker Nordwind blies, riß die Blätter von den Bäumen und blähte die Vorhänge in meinem Zimmer auf, während ich aufstand und mich anzog.
Ich wollte vor dem Frühstück einen Spaziergang machen.
Es war ein bewölkter, regnerischer Tag, und Nebel hüllte die Berge ein. Ich blickte hinauf zu unserer Hütte; durch den Regenschleier hindurch sah ich Schnee auf den Berggipfeln.
Dort oben schneite es schon, während es hier unten regnete…
Und ich hatte mich immer so danach gesehnt, hier unten zu sein.
Ich hörte Schritte hinter mir und begann schneller zu gehen.
Ich hatte Cal erwartet, aber es war Tom! Sofort wurde mir leichter ums Herz. »Gott sei Dank bist du zurück! Vorigen Samstag habe ich auf dich gewartet und gehofft, dich zu sehen.
Tom, ist alles in Ordnung?«
Lachend nahm er mich in die Arme. Die Sorgen, die ich mir um ihn machte, fand er übertrieben und unnötig. »Ich kann eine ganze Stunde bleiben. Ich dachte, daß wir vielleicht miteinander frühstücken könnten. Fanny könnte ja mithalten, dann wäre es fast so wie früher.«
»Ich wollte Fanny besuchen, Tom, aber sie weigert sich, mit mir zu sprechen. Es kommt immer ein schwarzes Dienstmädchen an die Tür. Ich kriege sie überhaupt nicht zu sehen, und sie geht nie auf die Straße.«
»Wir müssen es
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