Dunkle Wasser
mir. »Ich weiß schon, was du für eine bist. Maisie hat mir alles erzählt. Von ihrem Kerl wußt’ ich gleich, daß er nichts taugen tut, sonst hätt’ er sie ja nicht genommen. Sie taugt auch nichts, das war schon immer so, sogar als kleines Baby – und das gleiche gilt für dich! Ich will dich nicht mehr in meinem Haus haben! Zeig dich dort bloß nie wieder, du Hillbilly-Miststück! Verdrück dich in ein Motel in der Brown Street, wo deinesgleichen herumhängt. Hab’ schon veranlaßt, daß ihr Kerl mit deinen und seinen Sachen dorthin umgezogen ist.«
Ich war wie vor den Kopf gestoßen und riß vor Wut die Augen auf, aber dann wurde ich rot, denn ich fühlte mich schuldig und schämte mich. Als Kittys Mutter dies bemerkte, verzog sich ihr Mund zu einem grausamen Lächeln. »Will dich nie wieder sehen, hörst du mich, nie wieder! Versteck dich, wenn du mich kommen siehst!«
Zitternd hob ich die Hände. »Aber ich muß Kitty weiter besuchen. Sie braucht mich.«
»Hast du mich gehört, du Drecksstück! Du sollst mein Haus nie wieder betreten!« Sie stürmte aus dem Zimmer, nachdem sie nur einen kurzen Blick auf Kitty geworfen hatte, ohne ihr auch nur ein einziges Wort der Ermunterung oder des Mitleids zu sagen. War sie eigentlich nur gekommen, um mir ihre Meinung an den Kopf zu werfen?
Kitty starrte auf die geschlossene Tür, und ein Ausdruck tiefen Unglücks brannte in ihren Augen.
Die Tränen liefen Kitty das Gesicht hinab, als ich mich wieder zu ihr wandte, um ihr die Bettjacke zu richten und die Haare in Ordnung zu bringen. »Du siehst wunderschön aus, Kitty. Beachte nicht, was du eben gehört hast. Deine Mutter ist eine eigenartige Frau. Maisie hat mir neulich euer Familienalbum gezeigt. Deine Mutter sah dir sehr ähnlich, als sie in deinem Alter war, nur daß du hübscher bist, was sie dir gewiß nie verziehen hat.« Warum war ich so freundlich zu ihr, warum nur, wo sie doch nur grausam zu mir gewesen war?
Vielleicht, weil Reva Setterton ihr viele Dinge angetan hatte, mit denen sie später mich quälte.
»Geh weg«, sagte Kitty mit letzter Kraft.
»Mutter!«
»Bin nicht deine Mutter.« Das Ausmaß des Schmerzes und der Enttäuschung, die sich in ihren Augen spiegelte, war so groß, daß ich aus Mitleid mit ihr zu Boden sah. »Wollt’ immer
‘ne Mutter sein, mehr als alles andere hatt’ ich mir gewünscht, mein eigenes Baby zu haben. Du hattest recht. Ich bin nicht geeignet, eine Mutter zu sein. War ich nie. Bin überhaupt fürs Leben nicht geeignet.«
»Kitty!«
»Laß mich!« protestierte sie schwach. »Hab’ das Recht, in Frieden zu sterben – wenn die Zeit gekommen ist, weiß ich, was zu tun ist.«
»Nein, du hast nicht das Recht zu sterben! Nicht, wenn du einen Ehemann hast, der dich liebt! Du mußt leben! Du hast Cal, und er braucht dich. Du mußt nur deinem Körper den Befehl geben zu kämpfen. Kitty, bitte, Cal zuliebe. Bitte. Er liebt dich. Er hat es immer schon getan!«
»Raus mit dir!« rief sie mit einer etwas kräftigeren Stimme.
»Geh zu ihm! Paß auf ihn auf, wenn ich nicht mehr bin. Bald ist es soweit! Er gehört dir. Mein Geschenk an dich! Hab’ ihn nur genommen, weil er etwas von Luke an sich hatte – so wie Luke geworden wär’, wenn er in der Stadt bei einer vornehmen Familie aufgewachsen wär’.« Ein Schluchzen entrang sich tief aus ihrer Kehle, ein heiseres, bellendes Geräusch, das mir schier das Herz brach. »Als ich ihn zum ersten Mal sah und er sich zu mir an den Tisch setzte, kniff ich die Augen zusammen und tat so, als säße Luke vor mir. Und als ich mit ihm verheiratet war, konnte ich ihn nur an mich heranlassen, wenn ich mein Spiel spielte – und Luke aus ihm machte.«
Oh, Kitty, du große Närrin!
»Aber Cal ist ein wunderbarer Mann! Vater taugt nichts!«
Der blasse Schimmer in ihren Augen flammte auf.
»Das hab’ ich auch mein Leben lang über mich hören müssen! Aber ich bin nicht schlecht! Ich bin es nicht!«
Ich konnte es nicht mehr ertragen und ging hinaus an die frische Septemberluft.
Wie führte die Liebe doch den Verstand hinters Licht!
Warum mußte es der eine Mann sein, wenn man die Wahl unter Tausenden treffen konnte? Aber auch ich hoffte ja auf Logan. Ich war ganz versessen darauf, ihn zu finden und zu hören, daß er mich verstand und mir verzieh. Als ich an der Stonewall-Apotheke vorbeikam, war weit und breit kein Logan zu sehen. Im Nieselregen stand ich unter einer Ulme gegenüber der Apotheke und starrte auf die Fenster des
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