Dunkle Wasser
Deale neue Wasserfarben…«
»Ist egal. Werd’ sowieso kein Maler. Werd’ bestimmt nichts besonderes, wenn du nicht da bist und mir Selbstvertrauen gibst.«
»Wir werden immer zusammenbleiben, Tom. Wir haben es uns doch geschworen, zusammen durch dick und dünn zu gehen.«
Später am Abend schimpfte ich Fanny für ihr Benehmen aus und warnte sie vor den möglichen Folgen. Sie brauchte mir nichts vorzumachen; bei einer der seltenen Gelegenheiten, in der wir wie Schwestern, die einander brauchten, gewesen waren, hatte sie mir gestanden, wie sehr sie die Schule haßte, die ihr nur die Zeit stahl. Schon sehr früh – mit kaum zwölf Jahren – interessierte sie sich für ältere Jungen, die sie wohl ignoriert hätten, wenn sie nicht so hinter ihnen her gewesen wäre. Sie genoß es, wenn die Jungens sie auszogen, mit der Hand in Fannys Unterhose faßten, sie liebkosten und sie dabei aufregende und lustvolle Gefühle empfand. Es beunruhigte mich, als sie mir das erzählte, aber es machte mir noch sehr viel mehr Sorgen, als ich Zeugin wurde, wie sie sich in der Garderobe benahm.
»Werd’s nicht mehr tun, bestimmt, ich lass’ sie nicht mehr«, versprach Fanny, die schläfrig und daher bereit war, auf jede Forderung einzugehen und sogar meinem Befehl zu gehorchen, endgültig mit den Jungens aufzuhören.
Gleich am nächsten Tag, trotz ihres Versprechens, war sie wieder dabei, gerade als ich sie von ihrer Klasse abholen wollte. Ich zwängte mich in die Garderobe und riß Fanny von einem pickelgesichtigen Jungen aus dem Tal weg.
»Deine Schwester ist nicht so verdammt hochnäsig und etepetete wie du«, zischte mich der Junge an.
Dabei kicherte Fanny die ganze Zeit.
»Laß mich in Ruh«, schrie Fanny, während ich sie wegschleppte. »Vater behandelt dich wie Luft, deshalb hast du keine Ahnung, wie gut es ist, mit Jungs und Männern zusammen zu sein. Wenn du mich weiter so gängelst, ich soll nicht dies, ich soll nicht das, dann lass’ ich sie alles machen –
und es ist mir scheißegal, wenn du’s Vater erzählst. Er liebt mich, und dich haßt er nur!«
Das saß. Wäre Fanny nicht auf mich zugerannt gekommen und hätte sie nicht ihre zarten Arme um meinen Hals geschlungen und mich dabei weinend um Verzeihung gebeten, so hätte ich dieser boshaften, gefühllosen Schwester wohl endgültig meinen Rücken gekehrt. »Tut mir leid, Heaven, ehrlich. Mag dich, ehrlich, mag dich wirklich. Ich mag’s aber nun mal auch, wie sie’s tun. Ist doch normal, Heaven, oder?«
»Deine Schwester wird ‘ne Hure«, bemerkte Sarah später mit tonloser Stimme, in der keine Hoffnung mehr lag, während sie unsere Schlafdecken für den Boden aus den Kisten hervorholte. »Da kann man wohl nichts machen. Paß lieber auf dich selber auf, Heaven.«
4. KAPITEL
SARAH
Weihnachten kam und ging ohne richtige Geschenke, die daraus einen besonderen Festtag gemacht hätten. Wir bekamen lediglich kleine Notwendigkeiten wie Zahnbürsten und Seife.
Hätte mir Logan nicht das Armband mit dem kleinen Saphir geschenkt, wäre mir dieses Weihnachtsfest nicht in Erinnerung geblieben. Ich hatte jedoch nichts für ihn außer einer selbstgestrickten Mütze.
»Es ist eine phantastische Mütze«, sagte er und zog sie sich über den Kopf. »Ich habe mir schon immer eine knallrote, handgestrickte Mütze gewünscht. Vielen Dank, Heaven Leigh.
Es wäre toll, wenn du mir zu meinem Geburtstag im März noch einen roten Schal stricken könntest.«
Ich war erstaunt, daß er die Mütze wirklich trug. Sie war viel zu groß, und er schien es überhaupt nicht zu bemerken, daß ich einige Maschen fallen gelassen hatte und daß die Wolle schon abgegriffen und nicht mehr ganz sauber war. Kaum war Weihnachten vorbei, fing ich mit dem Schal an, der zum Valentinstag fertig wurde. »Im März ist es schon zu spät für einen Schal«, sagte ich lächelnd, als er ihn sich um den Hals wand – und er trug immer noch jeden Tag die rote Mütze.
Ende Februar wurde ich vierzehn Jahre alt. Ich bekam wieder ein Geschenk von Logan, ein wunderschönes weißes Pulloverset, das Fannys dunkle Augen neidisch funkeln ließ.
Am Tag nach meinem Geburtstag traf mich Logan nach der Schule am Ende des Bergpfades; von da an begleitete er mich jeden Tag bis zu der Waldlichtung vor der Hütte. Keith und Unsere-Jane faßten Zuneigung und Vertrauen zu ihm, während Fanny ihn die ganze Zeit mit ihren Reizen zu verlocken suchte, aber Logan schenkte ihr weiterhin keine Beachtung. Es war wunderbar,
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