Dunkle Wasser
Kind und kein zwölfjähriges Mädchen, das sich außerdem schon sehr schnell zu entwickeln begann.
Logan mußte sie in die Arme nehmen, um nicht nach hinten zu kippen.
»Du siehst ja von Tag zu Tag besser aus«, flötete Fanny und versuchte, ihm dabei einen Kuß zu geben, aber Logan stellte sie wieder auf den Boden und schob sie beiseite. Dann kam er auf mich zu. Aber Fanny war an diesem Tag einfach überall; ihre laute Stimme ertönte aus allen Winkeln, sie verscheuchte die Fische und lenkte beständig die Aufmerksamkeit auf sich.
Sie verdarb uns den ganzen Sonntagnachmittag, der uns sonst viel Spaß gemacht hätte, bis sie endlich, als es dämmerte, verschwand – keiner wußte wohin –, und Logan, Tom und mich mit drei winzigen Fischen zurückließ, bei denen es sich nicht lohnte, sie mit nach Hause zu nehmen. Logan warf sie wieder zurück ins Wasser, und wir sahen ihnen nach, wie sie davonschwammen.
»Bis nachher«, rief Tom, und schon eilte er davon und ließ mich mit Logan allein zurück.
»Was ist denn los?« fragte Logan, während ich unverwandt die untergehende Sonne anstarrte, die sich im Wasser in vielfältigen Rosa-Tönen widerspiegelte. Bald, dachte ich, würde sich alles dunkelrot verfärben, so rot wie das Blut, das Sarah bei der Geburt ihres neuen Babys verlieren würde. Die Erinnerung an vergangene Geburten gingen mir durch den Kopf. »Heaven, du hörst mir ja gar nicht zu.«
Ich wußte nicht recht, ob ich ihm etwas so Persönliches erzählen sollte, aber schließlich sprudelte es wie von selbst aus mir heraus. Ich konnte keine Geheimnisse vor ihm haben. »Ich habe Angst, Logan, nicht nur um Sarah und ihr Kind, sondern um uns alle. Wenn ich manchmal sehe, wie verzweifelt Sarah ist, dann weiß ich nicht, wie lange sie dieses Leben noch aushalten kann. Wenn sie geht – sie spricht immer davon, daß sie Vater verlassen will –, dann läßt sie mir das Baby zurück, um das ich mich dann kümmern muß. Großmutter kann nicht viel mehr tun als stricken und häkeln oder Decken zusammennähen.«
»Und dabei hast du schon so genug zu tun, ich verstehe, Heaven. Aber Heaven, du weißt doch, daß alles gut ausgeht.
Hast du nicht heute die Predigt von Reverend Wise gehört, in der er gesagt hat, daß wir alle unser Kreuz tragen müssen. Und hat er nicht auch gesagt, daß uns der liebe Gott niemals eines auflädt, das zu schwer für uns ist?«
Ja, das hatte er gesagt, aber im Augenblick trug Sarah ein Kreuz, das eine Tonne wog, und ich konnte ihr kaum einen Vorwurf machen, wenn sie sich beklagte.
Langsam schlenderten wir zur Hütte und wollten uns nur ungern voneinander verabschieden. »Du wirst mich ja doch nie einladen… oder?« fragte Logan steif.
»Das nächste Mal… vielleicht.«
Er blieb stehen. »Ich möchte dich einmal mit nach Hause nehmen, Heaven. Ich habe es meinen Eltern schon erzählt, was für ein wunderbares und hübsches Mädchen du bist, aber sie müssen dich erst sehen, um mir zu glauben.«
Ich trat zurück, bedrückt über sein und mein Los. Warum ließ er sich nicht von der Armut und der Schande der Casteels abschrecken? In diesem Augenblick trat er plötzlich nah an mich heran, packte mich und gab mir einen flüchtigen Kuß auf den Mund. Die Berührung seiner Lippen und sein ungewohntes Aussehen im Dämmerlicht verwirrten mich.
»Gute Nacht… und mach dir keine Sorgen, ich bin da, wenn du mich brauchst.« Mit diesen Worten rannte er den Pfad hinunter nach Winnerrow, zu den sauberen, hübschen Häusern.
In einer dieser Straßen würde er die Treppen in die Wohnung über der Stonewall-Apotheke hinaufsteigen. Dort waren die Zimmer wohl hell und freundlich, es gab fließend Wasser und Toiletten mit Wasserspülung, wahrscheinlich zwei davon, und er würde mit seinen Eltern heute abend fernsehen. Ich starrte auf die Stelle, wo er gerade gestanden hatte und überlegte, wie es wohl wäre, wenn man in sauberen Zimmern mit einem Farbfernseher wohnte. Eines wußte ich sicher: Es war tausendmal besser als bei uns.
Wäre ich nicht in verliebte Gedanken wegen Logans Kuß versunken gewesen, dann wäre ich nicht so ahnungslos in die Hütte eingetreten und hätte mich über den Lärm um mich herum nicht gewundert.
Vater war daheim.
Er ging im kleinen Vorzimmer auf und ab und durchbohrte Sarah mit seinen Blicken. »Warum bist du schon wieder schwanger?« brüllte er und klatschte mit der geballten Faust gegen seine Handfläche; er drehte sich ruckartig um, boxte gegen die Wand, daß
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