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Dunkle Wasser

Dunkle Wasser

Titel: Dunkle Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.C. Andrews
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kaum mehr etwas zu spüren. Auf ihr ständiges Keifen, an das wir uns schon notgedrungen gewöhnt hatten, folgte jedoch etwas viel Schlimmeres – ein bedrückendes Schweigen.
    Anstatt Vater und uns anzuschreien, bewegte sie sich nur mehr mit schlurfendem Gang wie eine alte Frau – und dabei war Sarah erst achtundzwanzig. Wenn Vater nach Hause kam, bemerkte sie ihn kaum, sie erkundigte sich nicht einmal, wo er gewesen war. Sie vergaß »Shirley’s Place«, und sie vergaß ihn zu fragen, ob er »sauberes« oder »schmutziges« Geld verdiente. Sie machte den Eindruck, als igele sie sich ein und kämpfe innerlich um eine Entscheidung.
    Tag für Tag wurde Sarah stiller. Sie zog sich immer mehr in sich zurück und kümmerte sich immer weniger um uns. Es tat weh, keine Mutter mehr zu haben, besonders da Keith und Unsere-Jane sie so dringend gebraucht hätten. Ihre Augen wurden hart, wenn Vater ein- oder zweimal in der Woche kam.
    Er arbeitete in Winnerrow und hatte nun eine ehrliche Arbeit, aber sie weigerte sich, es zu glauben, so als würde sie nach einem Grund suchen, ihn zu hassen und ihm zu mißtrauen.
    Manchmal hörte ich, wie er Sarah von seiner Arbeit erzählte und dabei verlegen aussah, weil sie ihm keine Fragen mehr danach stellte. »Arbeit als Mädchen für alles, für die Kirche und für reiche Bankiersdamen, die ihre lilienweißen Hände nicht beschmutzen wollen.«
    Tatsächlich verdiente sich Vater als Mädchen für alles bei den Reichen einige Dollars, und Sarah konnte eigentlich nichts dagegen haben. Vater konnte bei allen möglichen Arbeiten einspringen.
    Unsere-Jane bekam Sarahs Depression mit, und es schien, als würde sie diesen Sommer noch öfter krank als sonst. Sie war es, die jede Erkältung bekam, die wir anderen ohne weiteres abschüttelten. Sie hatte Windpocken, und kaum waren die vorüber, bekam sie einen allergischen Ausschlag und weinte eine Woche lang Tag und Nacht – damit verscheuchte sie Vater, der mitten in der Nacht aufstand, um wieder einmal
    »Shirley’s Place« aufzusuchen.
    Es gab aber auch Tage, an denen sich Unsere-Jane wohl fühlte. Wenn sie glücklich war und lächelte, gab es kein hübscheres Kind auf der Welt als Unsere-Jane, dann war sie die unumschränkte Herrscherin in der Hütte der Casteels. In der Tat, die Talbewohner erzählten sich immer, wie schön doch alle Kinder des grausamen, düsteren und aufbrausenden Luke Casteel geraten waren. Trotz seiner – in den Augen neidischer Frauen – nicht nur gewöhnlichen, sondern auch grobschlächtigen und ausgesprochen häßlichen Frau Sarah.
    Eines Tages wollte Keith, der fast nie etwas verlangte, Wachsmalstifte haben. Die einzigen, die zu der Zeit vorhanden waren, hatte Fanny vor Monaten von Miß Deale bekommen –
    und Fanny hatte die Schachtel noch kein einziges Mal aufgemacht.
    »Nein!« quäkte Fanny. »Keith bekommt meine funkelnagelneuen Wachskreiden nicht!«
    »Borg ihm doch deine Wachsmalstifte, sonst redet er womöglich überhaupt nicht mehr«, bat ich sie. Ich hatte immer ein wachsames Auge auf meinen kleinen, stillen Bruder, der wie Großvater die Angewohnheit hatte, herumzusitzen und nicht viel zu tun. Trotzdem sah Großvater viel genauer als wir alle. Wie sonst hätte er jedes einzelne Härchen eines Eichhörnchenschweifes schnitzen können? Wer hatte schon solche Augen, die nicht nur sehen, sondern auch wirklich beobachten konnten?
    »Mir egal, wenn er nie wieder ein Wort spricht«, kreischte Fanny.
    Daraufhin nahm ihr Tom einfach die Wachskreiden weg und gab sie Keith, während Fanny schrie und drohte, sich in den Brunnen zu schmeißen.
    »Maul halten!« donnerte Vater, der eben zur Tür herein kam und seine streitenden Kinder sehen mußte. Er verzog das Gesicht, als bereite ihm das Gezeter große Kopfschmerzen.
    »Hast sie gemacht, oder?« war Sarahs einziger Willkommensgruß. Dann preßte sie die Lippen zusammen und sagte kein Wort mehr. Vater sah sie zornig an und schleuderte unser Essen auf den blankgescheuerten Tisch. Ich kalkulierte schnell, wie lange die fünfzig Pfund Mehl, die zehn Pfund Schmalz in der Dose, die Säcke mit Feldbohnen und weißen Bohnen ausreichen würden.
    Peng, die Haustür fiel ins Schloß. Bestürzt sah ich auf. Es war Vater, der mit langen Schritten auf seinen Lieferwagen zuging. Er war wieder fort.
    Jedesmal, wenn Vater Sarah allein zurückließ, fügte sie entweder uns oder sich etwas Furchtbares zu. Trotzdem konnte ich manchmal verstehen, daß er nicht bleiben wollte. Es waren

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