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Dunkle Wasser

Dunkle Wasser

Titel: Dunkle Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.C. Andrews
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nicht nur wir Kinder, die an seinen Nerven zerrten, sondern er und Sarah gerieten sich auch ständig in die Haare. Sarah war ja nie besonders hübsch gewesen, aber nun hatte sie auch ihre Liebenswürdigkeit verloren.
    Morgens war es jetzt schon ziemlich kalt. Die Eichhörnchen huschten hin und her und suchten Nüsse für ihren Wintervorrat. Tom half Großvater Holz zum Schnitzen zu sammeln; das war keine leichte Aufgabe, denn es mußte ganz bestimmtes Holz sein, das weder zu hart noch zu weich war und auch nicht splitterte. EinesTages standen Vater und ich allein im Hof. »Vater«, begann ich stockend, »ich tue mein Bestes für die Familie. Könntest du mir vielleicht ein wenig helfen… und auch mal ein nettes Wort sagen?«
    »Hab’ dir schon gesagt, sollst mich in Ruh lassen!« Er warf mir einen durchdringenden Blick zu, bevor er mir wieder den Rücken kehrte. »Verschwinde, sonst bekommst du, was dir gebührt.«
    »Was gebührt mir denn?« fragte ich ihn unverfroren, dabei erinnerten ihn meine Augen gewiß an all das, was er verloren hatte: Sie.
    Wie kleine dunkle Miniatursoldaten hockten die Stare auf der Wäscheleine. Aufgeplusterte, verschlafene Vögel, die mit geschlossenen Augen die kommende Kälte erwarteten und auf den nächsten Sommer hofften. Bald würde oben in den Bergen Schnee fallen. Seufzend schichtete ich Brennholz. Ich wußte, daß es nicht genug war, um die Hütte warm zu halten. Die Axt steckte noch in einem Baumstumpf. Wenn ich noch ein Wort sage, haut er womöglich mit der Axt auf mich ein, dachte ich.
    So sagte ich lieber nichts mehr und begann, das Holz, das Vater gehackt hatte, ordentlich aufzustapeln.
    »So«, sagte Vater zu Sarah, als sie an der Tür erschien, »das müßte ausreichen, bis ich wiederkomm’.«
    »Wohin gehst du noch so spät?« fragte ihn Sarah, die sich ausnahmsweise die Haare gewaschen und etwas hübsch gemacht hatte. »Wird mächtig einsam für ’ne Frau hier so ganz alleine, Luke, ohne Mann und nur in Gesellschaft von alten Leuten und Kindern.«
    »Bis bald!« rief Vater und lief eilig zu seinem Lieferwagen.
    »Hab’ ‘nen Job bekommen. Wenn ich damit fertig bin, komm’
    ich nach Haus und bleib’ die Nacht.«
    Eine ganze Woche kam er nicht. Abends saß ich auf der Treppe zur Veranda und starrte in den düsteren, stürmischen Himmel. Bittere Gedanken bedrängten mich. Es mußte einen besseren Ort für mich geben als diesen. Irgendwo gab es einen besseren Ort. Eine Eule schrie, dann folgte das Heulen eines herumirrenden Wolfes. Die Nacht war von tausend Geräuschen erfüllt. Aus dem Norden kam der Herbstwind und jammerte und pfiff zwischen den Bäumen hindurch.
    Ich betrachtete die Mondsichel, die von einer dunklen Wolke zur Hälfte verdeckt wurde; es war der gleiche Mond, der über Hollywood, New York City, London und Paris stand. Ich fröstelte und hustete, aber ich wollte nicht in den überfüllten Raum zurückkehren und mich zwischen Fanny und Unsere-Jane legen. Tom und Keith schliefen neben Großmutter und Großvater auf dem Boden.
    Während die anderen Familienmitglieder mehr oder weniger friedlich schlummerten, hörte ich das leise Schlurfen alter Füße, das sich langsam näherte. Mit rasselndem Atem, stöhnend und ächzend, setzte sich Großmutter neben mich auf die Treppe.
    »Holst dir noch den Tod in der Nachtkälte. Glaubst wohl, deinem Vater tut es dann leid, aber wirst du in deinem Grab glücklich sein?«
    »Großmutter, Vater soll mich nicht so verachten. Warum kannst du ihm nicht erklären, daß es nicht meine Schuld ist, daß Mutter gestorben ist?«
    »Er weiß, daß es nicht deine Schuld ist, tief im Herzen. Aber wenn er’s zugibt, muß er sich selbst die Schuld geben, daß er
    ‘n Mädchen wie sie geheiratet und in die Berge gebracht hat, die sie nicht gewöhnt war. Sie gab ihr Bestes, bei Gott, das kann man sagen. Seh’ sie noch vor mir, wie sie wäscht und schrubbt und ihre schönen, weißen Hände ruiniert. Und wie sie ihr Haar, eine wahre Pracht, nach hinten streift… Sie lief immer wieder zum Koffer hin, voller Töpfchen war er, und rieb sich mit Creme ein. Sie versuchte alles, um ihre Hände schön und jung zu erhalten.«
    »Großmutter, du weißt, ich bring’ es nicht übers Herz, den Koffer aufzumachen und ihre ganzen schönen Sachen anzusehen. Was nützen diese Kleider hier oben, wo kein Mensch hinkommt? Aber neulich in der Nacht habe ich von der Puppe geträumt – sie war ich, und ich war sie. Eines Tages werde ich nach Boston

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