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Dunkle Wasser

Dunkle Wasser

Titel: Dunkle Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.C. Andrews
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würde mir ja doch nicht glauben, wenn ich ihm die Wahrheit sagte.
    Zum ersten Mal in meinem Leben erwog ich ernsthaft den Gedanken, daß es vielleicht besser wäre, mit anständigen Leuten aus der Stadt zu leben. Wenn ich einmal von hier in Sicherheit war, dann konnte ich ja mit der Suche nach denen, die ich liebte, beginnen.
    »Zieh dich lieber an«, sagte Vater, nachdem ich den Tisch abgewischt und die Schlafdecken verstaut hatte. »Sie werden bald kommen.«
    Ich holte tief Luft und versuchte vergeblich, ihm in die Augen zu sehen. Es ist besser so, viel besser, sagte ich mir.
    Lustlos kramte ich in den Kleiderkisten nach den besten Sachen. Bevor ich sie anzog, fegte ich den Hüttenboden – und Vater blickte mich dabei unverwandt an.
    Ich machte das Bett, als sei es ein ganz gewöhnlicher Tag.
    Und Vater schaute mir weiterhin bei allem zu. Es machte mich verlegen und nervös. Ich benahm mich ungeschickt, wo ich mich doch sonst immer schnell und geschmeidig bewegen konnte. Er löste einen Gefühlsaufruhr in mir aus, der mich verwirrte, und ich brannte vor Haß auf ihn.
    Zwei glänzende, neue Autos fuhren langsam in unseren Hof hinein und parkten hintereinander. Es waren ein weißer und ein schwarzer Wagen. Das schwarze Auto war lang und elegant, das weiße Auto war kleiner, schicker und hatte rote Sitze.
    Ich trug das einzige Kleid, das Fanny übriggelassen hatte.
    Es war ein einfaches Schürzenkleid, das früher einmal blau gewesen war, aber vom vielen Waschen nach Jahren eine graue Farbe angenommen hatte. Darunter trug ich einen von meinen zwei Schlüpfern. Ich brauchte eigentlich einen Büstenhalter, aber ich hatte keinen. Schnell fuhr ich mit der Bürste durch meine Haare; dann erinnerte ich mich wieder an den Koffer. Ich mußte ihn mitnehmen.
    Sofort fischte ich ihn aus seinem Versteck heraus und wickelte ihn in etliche von Großmutters selbstgemachten Decken.
    Vaters schwarze Augen wurden schmal beim Anblick des Koffers, der einst ihr gehört hatte. Aber er verlor kein Wort darüber, daß ich das Hab und Gut meiner Mutter mitnahm. Ich hätte auch mein Leben hergegeben, um den Koffer vor seiner Zerstörungswut zu retten. Vielleicht ahnte er das.
    Mir kam es vor, als müßte sich Vater zweimal dazu zwingen, seinen Blick von meinem Mund abzuwenden. Entdeckte er nun, wie sehr ich seinem toten Engel glich? Ich zitterte innerlich. Ich hatte den Mund meiner Mutter; wie die Puppe in dem Brautkleid – eine Puppe, die ebenso alt aussah wie ich.
    Tief in Gedanken versunken hörte ich nicht das Klopfen an der Tür und sah nicht die zwei Paare eintreten, bis sie mitten in unserem größeren Zimmer standen. Old Smokey spuckte und spie Rauch. Vater reichte jedem die Hand und gab sich als charmanter Gastgeber. Ich sah mich um, ob ich etwas vergessen hatte.
    Stille trat ein. Eine lange, fürchterliche Stille, während der sich vier Augenpaare auf mich, die angebotene Ware, richteten. Blicke musterten mich von Kopf bis Fuß, während ich, wie in einem dunklen Netz gefangen, die zwei Paare kaum registrierte.
    Jetzt wurde mir klar, was Tom empfunden haben mußte. Tom
    – ich fühlte, wie er bei mir stand und seine leisen Worte mir Kraft gaben. Es wird alles gut werden, Heavenly… ‘s geht doch am Ende immer gut aus, oder?
    Der laute und scharfe Ton, in dem Vater sprach, riß mich aus meinen Träumen, und ich sah ein älteres Ehepaar vor mir stehen und dahinter ein jüngeres Paar, das sich rücksichtsvoll im Hintergrund hielt, um den Älteren bei dem Handel den Vortritt zu lassen. Ich wich in eine Ecke zurück, in die Nähe Großvaters, der dasaß und schnitzte.
    Schau her, Großvater, sieh nur, was dein herzensguter Sohn macht! Er stiehlt dir das letzte Enkelkind, das dir übriggeblieben ist und das dich liebt! Sag etwas, das ihn davon abhält, Toby Casteel… sag’s doch, sag’s doch!
    Er sagte jedoch nichts, sondern schnitzte weiter.
    Der grauhaarige Mann und seine Frau waren groß und schlank und sahen sehr vornehm aus. Beide trugen graue Mäntel, darunter hatte sie ein Kostüm und er einen Anzug an.
    Sie sahen intelligent und gebildet aus, und sie schienen aus einer anderen Welt zu kommen. Auch schauten sie nicht ganz so ungehemmt auf die erschreckende Armut und die mitleiderregende Gestalt Großvaters, der trotz des Besuches einfach weiterschnitzte.
    Ihre Haltung war arrogant und distinguiert, aber ihre Augen sahen mich freundlich an, während ich mich gegen die Wand drückte und mir eine panische Angst ins Gesicht

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