Dunkle Wasser
geschrieben stand. Mein verschreckter Blick erweckte einen mitleidigen Schimmer in den blauen Augen des Mannes, aber die Frau zeigte keinerlei Gefühlsregung. Sie hätte genausogut über das Wetter nachdenken können. Ich seufzte wieder und schluckte den Kloß herunter, der mir im Hals steckte. Ich war in eine Falle geraten. Ich wünschte mir, daß die Zeit vorauseilen möge und es jetzt zwei Jahre später wäre. Aber jetzt, in diesem Augenblick, raste mein Herz, es hämmerte in meinem Brustkasten, daß ich weiche Knie bekam und mir übel wurde.
Ich hoffte, Großvater würde mich ansehen und endlich etwas tun, aber es gelang mir nie, Großvater zum Handeln zu bewegen, wenn Vater dabei war.
Sie mögen mich nicht, sie mögen mich nicht, dachte ich immerzu von dem älteren Ehepaar, das sich wohl nur weigerte, mich ermunternd anzulächeln, damit ich unbeeinflußt meine Wahl treffen konnte. Mit der gleichen verzweifelten Hoffnung wie Fanny neulich blickte ich jetzt zu dem jüngeren Paar hinüber.
Der Mann war groß und gutaussehend. Er hatte dunkelbraune, glatte Haare und hellbraune Augen. Seine Frau, die neben ihm stand, war fast ebenso groß wie er. Sie war bestimmt fast einsachtzig, auch ohne ihre Stöckelschuhe. Sie hatte einen Wust kastanienbrauner Haare, die dunkler und dichter als Sarahs waren. Sarah war nie in ihrem Leben bei einem Friseur gewesen, doch es war offensichtlich, daß die Haare dieser Frau nicht ohne einen solchen auskamen. Sie hatte ihre Frisur so hoch toupiert, daß sie wie eine feste Masse wirkte. Ihre Augen hatten eine eigenartige blasse Farbe, so hell, daß sie fast farblos wirkten; man sah nur riesige Pupillen, die in einem farblosen Meer schwammen. Sie hatte die porzellanweiße, makellose Haut der Rothaarigen – und sie war perfekt geschminkt.
Irgendwie hatte sie etwas Vertrautes an sich wie jemand aus den Bergen… Im Gegensatz zu dem älteren Paar, die in schwere, graue, maßgeschneiderte Mäntel gekleidet waren, trug sie einen pinkfarbenen Hosenanzug, der so enganliegend war, daß er wie auf die Haut gemalt wirkte. Sie tänzelte in der Wohnung herum und sah sich alles an, sie öffnete sogar die Ofentür, um hineinzuschauen. Warum tat sie das? Sie erhob sich wieder und lächelte alle und niemanden an, dann wandte sie sich um und sah recht unverfroren auf das alte Messingbett, das ich gerade gemacht hatte. Sie starrte auf die Körbe, die von der Decke herunterhingen und staunte über die rührenden Versuche, die Hütte etwas wohnlicher und gemütlicher zu machen. Unzählige Gefühlsregungen huschten im schnellen Wechsel über ihr Gesicht, so als würden immer neue Eindrücke die vorangegangenen Schrecken, Schocks und Erschütterungen… und andere unausgesprochene Überraschungen gleich wieder auslöschen. Mit zwei langen lackierten Fingernägeln faßte sie das Wischtuch, mit dem ich immer den Tisch saubermachte, hob es hoch, und ließ es sofort wieder fallen, als wäre sie mit einer furchtbaren Krankheit in Berührung gekommen. Sie versuchte, ihr Lächeln beizubehalten, aber es gefror ihr auf den rosarot bemalten Lippen.
Die ganze Zeit über klebten die Augen des jungen Ehemannes an mir. Er lächelte mir ermutigend zu, und seine Augen lächelten mit. Ich fühlte mich darauf irgendwie besser, offensichtlich war er mit dem, was er sah, einverstanden.
»Also«, sagte Vater und pflanzte sich, mit den riesigen Fäusten in die Hüften gestemmt, breitbeinig vor mir auf. »‘s ist deine Sache, ganz deine Sache, Mädchen…«
Meine Augen wanderten von einem Paar zum anderen. Wie konnte ich sie nach ihrem Äußeren beurteilen? Woran sollte ich mich orientieren? Die rothaarige Frau in dem pinkfarbenen gestrickten Hosenanzug lächelte einnehmend und sah dadurch noch hübscher aus. Ich bewunderte ihre langen, lackierten Fingernägel, ihre Ohrringe so groß wie halbe Dollarstücke, ich war von ihrem Mund, ihrer Kleidung, ihrem Haar begeistert.
Die ältere, grauhaarige Frau sah mich ernst und regungslos an.
Ihre Ohrringe waren winzige Perlen und nicht sehr beeindruckend.
Ich glaubte, etwas Feindseliges in ihren Augen zu entdecken.
Ich zuckte zurück und sah ihren Mann an – aber er wich meinen Augen aus. Wie konnte ich ohne Blickkontakt etwas feststellen? Die Augen sind das Spiegelbild der Seele…
Augen, die einen nicht ansahen, waren trügerisch.
Und wieder wandte ich mich dem jüngeren Paar zu, das modisch gekleidet war, nichts Maßgeschneidertes, Teures, Zeitloses trug. Langweilige, öde
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