Dunkle Wasser
Lehrerin.«
Kitty schnaufte aufgebracht, »Für Schule oder Lehrer hab’
ich noch nie was übrig gehabt. Kein Mensch redet hier in deinem hochgestochenen Yankee-Ton. Wirst dir Feinde mit deiner Aussprache machen. Mußt lernen, so wie wir hier zu reden – oder du hast die Folgen zu tragen.«
Welche Folgen meinte sie?
»Ja, Kitty.«
Oben auf der Treppe angekommen, schienen die Wände vor meinen Augen zu schwanken. Auf einmal wandte sich Kitty blitzartig um, packte mich an den Schultern und stieß meinen Kopf krachend gegen die Wand. »Aufwachen!« brüllte sie.
»Wach auf und hör gut zu… Bin nicht Kitty für dich! Du hast mich Mutter zu nennen! Nicht Mama oder Mutti – und bloß nicht Mami! Ich bin Mutter. Hast du verstanden?«
Mir war schwindlig, und mein Kopf dröhnte. Sie hatte ungeheure Kraft. »Ja, Mutter.«
Kitty führte mich durch einen kurzen Gang auf eine geöffnete Tür zu, durch die ich eine schwarzglänzende Tapete mit Goldmuster schimmern sah. »Hier ist das Badezimmer«, erläuterte Kitty, trat ein und zerrte mich am Arm hinterher.
»Das Ding da drüben heißt bei vornehmen Leuten Toilette, aber so fein bin ich nicht, bei mir heißt es ganz einfach Klo.
Du mußt den Deckel heben, bevor du dich draufsetzt, und jedesmal nachdem du es benutzt hast, mußt du ziehen. Tu bloß nicht zu viel Papier hinein, sonst verstopft das Ding und läuft über. Dann kannst du die ganze Sauerei aufwischen. Übrigens,
‘s wird deine Aufgabe sein, das ganze Haus sauberzumachen.
Ich erklär’s dir noch, wie meine Pflanzen gepflegt und gegossen werden müssen, wie du Staub wischen sollst, saubermachen, staubsaugen, und natürlich die Wäsche zu waschen hast. Aber zuerst wird gebadet.«
Hier also erfüllte sich mein sehnlichster Wunsch – ein Badezimmer im Haus, mit fließend kaltem und heißem Wasser, eine Badewanne, ein Waschbecken, Spiegel an beiden Wänden – und nun war ich zu müde, um das alles zu genießen.
»Hörst du mir überhaupt zu, Mädchen?« drang Kittys schrille Stimme an mein Ohr; ich fühlte mich vor Erschöpfung zunehmend benebelter. »Die Farbe, die Tapete und der Teppich, alles ist funkelnagelneu – wie man leicht erkennen kann. Ich will, daß es so bleibt. Es wird also deine Aufgabe sein, alles so zu erhalten. Hast du verstanden?«
Ich nickte schon halb bewußtlos.
»Du sollst dir gleich von Anfang an darüber im klaren sein; ich erwarte von dir, daß du dir deinen Aufenthalt und die Mahlzeiten durch Haushaltsarbeiten, die ich noch bestimmen werde, verdienst. Bin überzeugt, daß du keine Ahnung hast, wie so’n Haushalt funktioniert, und das wird mich viel Zeit kosten. Aber du wirst’s schnell genug kapieren müssen, wenn du hier leben willst.« Wieder machte sie eine Pause und sah mich eindringlich an.
»Dir gefällt es doch hier, oder?«
Warum stellte sie mir immer wieder die gleiche Frage? Ich hatte ja kaum Gelegenheit gehabt, mehr als einen flüchtigen Blick überallhin zu werfen! Was sie mir da sagte, war mir eine Warnung; ich verlor langsam die Hoffnung, daß dies ein Zuhause sein würde. Es glich eher einem Gefängnis.
»Ja«, sagte ich und versuchte, Freude zu zeigen. »Alles ist sehr schön hier.«
»Nicht wahr?« Kitty lächelte sanft. »Im Erdgeschoß gibt’s noch ein Badezimmer. Genauso hübsch – ist für die Gäste. Ich mag’s, wenn es tipptopp sauber ist und alles glänzt. Das wird deine Aufgabe sein.«
Während der ganzen Zeit fischte Kitty nach Fläschchen und Tiegeln, die hinter verspiegelten Schranktüren verborgen waren. Bald hatte sie eine beachtliche Sammlung auf dem Regal stehen, das aus rosa Marmor, passend zur Badewanne, gearbeitet war. Im »Hausherrn«-Badezimmer war alles schwarz, rosa und gold.
»Also«, fuhr Kitty ganz sachlich und kühl fort, »zuerst müssen wir den ganzen Dreck auf deiner Haut wegschrubben.
Und deine verdreckten und verlausten Haare waschen. Muß alle Läuse auf deinem Kopf töten. Dein Vater hat bestimmt alles mögliche dieser Art, und du bewegst dich ja schon seit deiner Geburt in seinem Schmutz. Meine Güte, bei den Geschichten, die man so über Luke Casteel hört, kringeln sich einem ja die Haare besser als bei einer Dauerwelle. Aber jetzt muß er den Preis zahlen für den Spaß, den er gehabt hat, einen hohen Preis.« Es schien sie zu freuen. Auf ihren Lippen lag ein unergründliches, unheimliches Lächeln.
Woher wußte sie von Vaters Krankheit? Ich wollte ihr sagen, daß er wieder gesund sei, aber ich war zu müde
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