Dunkle Wasser
dazu.
»Oh, tut mir leid, Schätzchen. Hab’ ich deine Gefühle verletzt? Mußt eben verstehen, ich kann nu’ mal deinen Vater nicht leiden.«
Was sie sagte, bestätigte mir, daß ich doch die richtige Wahl getroffen hatte. Jeder, der Vater nicht mochte, hatte ein gutes Urteilsvermögen. Mit einem Seufzer lächelte ich Kitty dankbar an.
»Bin in Winnerrow aufgewachsen, meine Eltern leben immer noch dort«, fuhr sie fort, »Tatsache ist, sie würden niemals woanders leben wollen. Die Leute werden so, wenn sie nie aus ihrem Dorf herausgekommen sind. Angst vor’m Leben, so nenn’ ich’s. Angst, wenn sie in ‘ne große Stadt kommen, kennt sie keiner mehr. In Atlanta, wo ich arbeit’, gibt’s nu’ mal niemand, der ihnen was bedeuten tut. Können nu’ mal nicht das, was ich kann. Haben eben kein so’n Talent wie ich. Also, wir leben ja nu’ nicht in Atlanta, wie gesagt, aber in einem Vorort, etwa zwanzig Meilen von der Stadt entfernt; Cal und ich, wir tun arbeiten und kämpfen. Darum geht’s, um den täglichen Kampf, ich und er gegen die ganze Welt. Er gehört mir, und ich liebe ihn. Ich würd’ sogar ‘nen Mord begehen, um ihn zu behalten.« Sie schwieg und sah mich aus harten, schmalen Augen an.
»Mein Laden ist in ‘nem Hotel für reiche Leute. Kannst dir kein Haus hier in Candlewick leisten, wenn du nicht mehr als Dreißigtausend verdienst. Wenn Cal und ich arbeiten, können wir die Summe manchmal verdoppeln. Schätzchen, ‘s wird dir hier gefallen, bestimmt. Wirst in eine Schule gehen, mit drei Stockwerken, einem Hallenschwimmbad und einem Auditorium, wo sie Filme vorführen. Natürlich wirst du viel glücklicher sein als in deiner alten Klitsche… Denk nur, wirst gerade rechtzeitig für das neue Schulsemester kommen.«
Die Erinnerungen an meine alte Schule und an Miß Deale stimmten mich traurig. Dort hatte ich alles über die Welt erfahren, über eine Welt, in der Bildung, Bücher, Malerei, Architektur und Naturwissenschaften zählten… Ich hatte mich nicht einmal von Miß Deale verabschieden können. Ich hätte freundlicher und dankbarer ihr gegenüber sein müssen. Ich hätte meinen Stolz vergessen sollen. Ich versuchte, meine Tränen zu unterdrücken. Dann gab es da noch Logan, der wegen seiner Eltern – oder aus einem anderen Grund – nicht mehr mit mir geredet hatte. Jetzt kam mir nicht nur Logan, sondern auch meine geliebte Lehrerin schon unwirklich vor.
Sogar an die Hütte erinnerte ich mich nur noch vage, obwohl ich sie erst vor ein paar Stunden verlassen hatte.
Großvater schlief jetzt bestimmt, während hier noch die Geschäfte offen waren und die Leute einkaufen gingen. So wie Cal, der gerade dabei war, mir viel zu große Kleider zu besorgen. Ich seufzte tief; einige Dinge änderten sich wohl nie.
Mit bleischweren Beinen wartete ich, bis Kitty endlich die rosa Badewanne mit Wasser gefüllt hatte.
Der Dampf beschlug das Glas, füllte meine Lungen; das Badezimmer wurde so dunstig, daß Kitty meilenweit entfernt zu sein schien, und wir beide – Kitty und ich – trieben auf Wolken zum Mond in ein Land der Phantasie. Ich begann schon zu schwanken und vernahm einen Befehl von Kitty, der tatsächlich vom Mond zu kommen schien. Sie verlangte, ich solle mich ausziehen und meine ganzen Lumpen in eine Plastiktüte schmeißen. Alles, was ich trug, würde im Müll verschwinden, von der Müllabfuhr abgeholt und schließlich verbrannt werden.
Ich zog mich mit steifen Fingern aus.
»Wirst alles neu kriegen. Wir werden ein Vermögen für dich ausgeben, Mädchen. Also, denk immer dran, Kind, falls du mal Sehnsucht nach deinem Schweinestall bekommen solltest. Und jetzt zieh dich sofort aus! Mußt endlich lernen, dich zu bewegen, wenn ich’s sag’, und nicht nur dastehen und Maulaffen feilhalten. Kapiert?«
Mit vor Angst und Müdigkeit gelähmten Händen knöpfte ich mein altes Kleid auf. Warum bewegten sich meine Finger nicht etwas schneller? Irgendwie gelang es mir schließlich doch, zwei Knöpfe aufzumachen, während Kitty eine Plastikschürze aus einer Lade herauszog. »Stell dich drauf, und laß die Wäsche einfach runter. Paß bloß auf, daß nichts auf meinen sauberen Teppich oder meine Marmorplatten fällt.«
Ich stand nackt auf der Plastikschürze, und Kitty beäugte mich von oben bis unten. »Meine Güte, du bist doch gar kein kleines Mädchen mehr. Wie alt bist du denn überhaupt?«
»Fünfzehn«, antwortete ich. Während ich mich bemühte, Kittys Befehlen nachzukommen,
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