Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz
dem Gartenzaun abplagte und nur mit Mühen über die Runden kam. Sie waren überzeugt, dass auch der Tod nicht zu ihnen nach Hause käme, und wenn einer von ihnen starb, schauten sie einander erschrocken an, erschüttert, dass ihnen all ihr Reichtum nicht half.
Beim Gedanken an all die Ölmagnaten, die Notare, die Bankiers, die Industriellen, die Architekten, die die Städte zerstörten, musste er grimmig lachen. All jene Bürger, die sich von Pomp so beeindrucken ließen, sei es die Pracht, die der italienische König entfaltet hatte, der militärische Monumentalismus Mussolinis, der dekadente Schwulst Vittorio D’Annunzios und letzten Endes auch die unterschwelligere, arrogante Aufgeblasenheit der Demokratie. Diese unscheinbaren, mittelmäßigen Spießer, die sich hinter den Regeln und Gewohnheiten ihrer Väter und Großväter versteckten und dabei dachten, diese würden ewig gelten. Sahen sie denn ihren Söhnen und Töchtern nicht in die Augen? Sahen sie denn nicht, dass diese Schlangen an ihrem Busen keine Regeln mehr wollten und ungeduldig darauf warteten, ihren Teil von Macht und Geld abzubekommen? Merkten sie nicht, dass ihre Kinder nur darauf lauerten, ihr Vermögen zu erben, den Reichtum der Väter, und dafür all die faulen Regeln über Bord warfen, die sie für sinnlos befanden? War ihnen nicht bewusst, dass ihre Kinder ihre Autorität untergraben wollten, dass sie keine Herren duldeten, weil sie selbst herrschen wollten? In den Augen dieser jungen Leute, die zwar im Luxus groß geworden waren, aber von eisernen Regeln klein gehalten wurden, stand eine höhnische Wut und allgemeine Verachtung. Sie kannten nur ein Ziel: die Väter vom Thron zu stoßen und deren Platz einzunehmen. Sie waren schlimmer als die Generation ihrer Eltern, wollten noch reicher und mächtiger werden als diese, und ihr oberflächlicher Wunsch nach Freiheit war nichts anderes als die Gier nach Geld und Macht. Aber noch lächerlicher erschien ihm, dass jetzt auch die Arbeiter, die Angestellten, die Beamten so wie die Reichen sein wollten, deren Diener sie immer gewesen waren. Neid hatte ihren Stolz ersetzt. Auch sie wollten reich und mächtig sein, träumten von einer Villa mit Garten, um sich dort abzuschotten und das Elend, das Leid, den Tod auszusperren, so wie man den Abfall draußen vor der Tür lässt.
Gemächlich kehrte er ins Präsidium zurück, die Hände in den Taschen. Er nickte Mugnai zu und ging dann in sein Büro hinauf. Als er sich in seinen Stuhl fallen ließ, fühlte er sich wie der Angeklagte in einem Prozess. Ein Kind war ermordet worden, und er kam keinen Millimeter vorwärts. Stattdessen erging er sich in sinnlosen Reflexionen über die verachtenswerte menschliche Rasse, damit er nicht an das eigene Versagen denken musste. Innerlich beschimpfte er sich als alten Trottel, aber was konnte er machen, wenn er es selbst jetzt nicht schaffte, sich die schöne Verkäuferin aus der Via Pacinotti aus dem Kopf zu schlagen?
Am Spätnachmittag versetzte ein Raub in einem Juweliergeschäft im Zentrum das Präsidium in Alarmbereitschaft. Es gab eine Verfolgungsjagd in der Via Bolognese, und in der Kurve bei Pian di San Bartolo überschlug sich das Auto der Räuber. Zwei von ihnen waren auf der Stelle tot, und der dritte starb auf dem Weg ins Krankenhaus. Der Schmuck fand sich bis auf den letzten Stein wieder, und alle waren glücklich und zufrieden.
Pünktlich um halb neun klingelte der Kommissar bei Rosa. Nach einer Ewigkeit trat sie an die Brüstung des Balkons und rief zu ihm hinunter, er möge sich noch ein Minütchen gedulden, sie käme gleich.
Als die große Haustür endlich aufging, hatte Casini schon drei Zigaretten geraucht. Rosa stand vor ihm in all ihrer Pracht, balancierte auf roten Lackschuhen mit Pfennigabsätzen. Durch das starke Make-up wirkten ihre Augen unnatürlich groß, und sie hatte sich die Lippen knallrot angemalt. Sie trug einen kurzen scharlachroten Kaschmirmantel mit einem Pelzkragen.
»Aber ja doch, ich bin’s … Jetzt zieh doch nicht so ein Gesicht.«
»Du hast ein sehr persönliches Zeitgefühl, Rosa.«
»Jetzt fang nicht mit den üblichen Männersprüchen an.«
»Es ist zehn nach neun, aber weil ich ein Gentleman bin, weise ich dich nicht darauf hin.«
»Das ist deine eigene Schuld, was kommst du auch immer so pünktlich«, sagte sie allen Ernstes. Casini war einen Moment sprachlos, dann schüttelte er nur stumm den Kopf. Sie stiegen in seinen Käfer, und Rosa sagte, dass sie einen
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