Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz
stand der gleiche Ausdruck, mit dem er auf die Nazis geschossen hatte. Er hatte mehr Respekt vor Dieben als vor solchen Subjekten. Der Händler war vollkommen verängstigt. Mit zitternden Händen holte er seine Brieftasche heraus, aus der die Geldscheine nur so quollen, und fischte siebentausend Lire hervor. Casini nahm die Scheine und händigte sie dem Kunden aus.
»Heute sind die Gummistiefel umsonst.« Er lächelte. Dann fragte er die anderen Kunden, was sie benötigten, ließ es bringen und schickte sie ebenfalls ohne zu bezahlen fort. Schließlich war er allein mit dem Händler im Laden und starrte ihm in die Augen.
»Holen Sie sofort alle Gummistiefel und Besen, die Sie noch im Laden haben, und das möchte ich nicht zweimal sagen.« Der Kommissar folgte ihm nach hinten ins Lager, um sicherzustellen, dass der Händler ihn nicht betrog. Dann befahl er ihm, die Stiefel und Besen vor die Tür zu bringen und draußen auf dem Bürgersteig aufzureihen. In der Straße bewegte sich eine lange Autoschlange im Schritttempo vorwärts, stinkende Auspuffgase vergifteten die Luft.
»Schließen Sie Ihren Laden«, sagte Casini.
»Warum?«, jammerte der Händler und wich einen Schritt zurück.
»Schließen Sie ihn zu!«, wiederholte der Kommissar. Der dürre Mann zog schnell das Rollgitter herunter und schloss ab.
»Kann ich jetzt gehen?«
»Geben Sie mir den Schlüssel.«
»Was haben Sie vor?«
»Den Schlüssel!«, sagte Casini und streckte eine Hand aus. Der Händler machte den Schlüssel vom Bund ab und legte ihn auf Casinis flache Hand. Der Kommissar trat vom Bürgersteig, bückte sich und ließ den Schlüssel in einen Gully fallen. Der Händler machte kurz den Mund auf, brachte aber kein Wort heraus.
»Wenn Sie Ihren Laden früher als in einem Monat wieder öffnen, bringe ich Sie höchstpersönlich ins Gefängnis!«, drohte der Kommissar. Dann kehrte er dem Mann den Rücken zu und ging durch die Autoschlange zu seinem Fiat 1100. Während er den Motor anließ, sah er, wie der Händler die Via dello Statuto entlanglief, mit eingezogenen Schultern, als müsste er gegen einen starken Wind ankämpfen. Auf einmal empfand Casini Mitleid mit diesem miesen Kerl und hoffte von ganzem Herzen, dass er keine Familie zu versorgen hatte.
Casini beschloss, zum Campo di Marte zu fahren. Er hatte keine Lust, sich im Polizeipräsidium einzuigeln, sondern wollte lieber unter Menschen. Um die Verkehrsstaus auf dem Alleenring zu umgehen, fuhr er durch die Via Bolognese, dann die steile Straße von La Badia hinab und kam dann bei San Domenico heraus.
Schließlich erreichte er das Stadion. Auf dem Rasen, der auch als Hubschrauberlandeplatz diente, wimmelte es von Leuten und Militärfahrzeugen. Unter der Maratona-Tribüne wurden Lebensmittel zusammengetragen, und man hatte dort eine provisorische Krankenstation eingerichtet. Rotkreuzschwestern und Soldaten liefen geschäftig hin und her. Begleitet von Motorradeskorten der Straßenpolizei trafen Lastwagen mit Hilfslieferungen ein: Brot, Zucker, Salz, Obst, Mineralwasser, verschiedene Konserven und Matratzen. Einige Unteroffiziere studierten einen Stadtplan, der auf einem Klapptisch ausgebreitet war.
Casini half den Soldaten beim Abladen der Kisten, ohne auf seine Erschöpfung und die Rückenschmerzen zu achten. Er wollte den jungen Kerlen zeigen, wozu ein alter Knacker noch in der Lage war, der in der Legion San Marco gekämpft hatte. Dabei kam ihm in den Sinn, dass die Metzgerei Panerai nur etwa hundert Meter entfernt lag, und das bedrückte ihn.
In der Nähe drehte jemand ein Transistorradio auf volle Lautstärke. Die städtischen Behörden appellierten an die Bevölkerung: Fahren Sie nicht ohne zwingenden Grund mit dem Wagen … Wer medizinische Hilfe benötigt, soll sich im Careggi-Krankenhaus einfinden … Im Stadion am Campo di Marte werden Lebensmittel, Arzneimittel, Kerzen und Decken verteilt … Die Tankwagen, die Trinkwasser ausgeben, stehen auf der Piazza del Duomo, der Piazza della Signoria, der Piazza Santissima Annunziata …
Mit jeder Stunde wuchs das Chaos. Freiwillige kamen aus den nicht überschwemmten Stadtbezirken, aus den umliegenden Dörfern und Städten, aus anderen Regionen Italiens, ja sogar aus dem Ausland. Es waren Frauen und Männer jeden Alters. Aus Siena traf ein ganzer Lastwagen mit Brot ein, das ein Privatmann gespendet hatte. Händler verteilten spontan Lebensmittel aus ihren Läden.
Einige Amphibienfahrzeuge brachen zu den Stadtvierteln auf, die noch
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