Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Roman
Störung?«, fragte Casini und blieb noch draußen vor dem Tor stehen.
»Ich bin sicher, dass es dich vor Neugier schier zerreißt, sie endlich kennenzulernen.«
»Ich bin vor allem gespannt, wie du dich aufführst, wenn du verliebt bist.«
»Dumm wie alle anderen, aber nicht vor Zeugen.«
»Ach, wie rührend …«, sagte der Kommissar und betrat den Garten.
»Aber nicht länger als eine halbe Stunde. Ich habe den ganzen Tag im Careggi-Krankenhaus verbracht und muss morgen in aller Herrgottsfrühe wieder hin.«
»Kümmerst du dich dort um die Lebenden oder die Toten?«
»Immer um die Toten, so Gott will«, sagte der Arzt. Er trat zur Seite, um ihn vorbeizulassen, und schloss die Tür. Casini hatte sich in Diotivedes Haus immer wohlgefühlt. Es war schmucklos, sauber, schlicht und geschmackvoll eingerichtet. Wenige alte Möbel, das eine oder andere wunderschöne Bild, wertvolle Teppiche, hier und da eine chinesische Vase oder eine Bronzefigur. Doch das wahre Glanzstück war die Beleuchtung, die nie aufdringlich wirkte und auch noch den letzten Winkel gemütlich erscheinen ließ.
»Ich bitte dich, im Haus nicht zu rauchen«, sagte Diotivede, während er den Flur betrat.
»Das würde ich mir niemals erlauben.« Casini sah sich bewundernd um. In dem großen Landhaus, das er sich kaufen würde, wollte er eine ähnliche Atmosphäre schaffen. Er folgte dem Arzt ins Wohnzimmer. Dessen Verlobte erhob sich lächelnd vom Sofa. Diotivede hatte recht, sie war wirklich eine Schönheit: schlank, kastanienbraune Haare, schwarze Augen, ein ovales, ebenmäßiges Gesicht wie das einer Schauspielerin und ein fantastischer Körper.
»Angenehm, ich bin Marianna.«
»Franco …« Er schüttelte ihre Hand.
»Ich habe schon viel von Ihnen gehört.«
»Wer weiß, was Peppino für schlimme Geschichten über mich erzählt.«
»Nein, ganz im Gegenteil …«
»Wein oder Grappa?«, fragte Diotivede und ging zu einem kleinen Barwagen.
»Wein«, sagte Marianna.
»Für mich auch, danke.« Sie machten es sich mit ihrem Rotwein gemütlich. Casini im Sessel und das Pärchen Schenkel an Schenkel auf dem Sofa. Sie erzählten einander, wie sie das Hochwasser erlebt hatten, was sie selbst gesehen und wovon sie gehört hatten. Casini schaute oft verstohlen zu Marianna hinüber. Diese Frau war ein Geschenk des Himmels, vor allem für einen Mann über siebzig wie Diotivede. Sie war nicht nur schön, sondern auch höchst sympathisch und intelligent. Sie trug einen Rock mit Schlitz, und wenn sie die Beine übereinanderschlug, musste er sich zwingen, nicht allzu offensichtlich hinzusehen …
Casini ließ den Fiat 1100 im Viale Petrarca stehen und ging zu Fuß weiter. Direkt vor dem Haus parken konnte er noch nicht, da dort immer noch Autowracks und Müllberge herumlagen.
Er war bis nach Mitternacht bei Diotivede geblieben, hatte Wein getrunken, sich unterhalten und vor allem versucht, nicht zu sehr auf Mariannas Beine zu starren.
Im Licht seiner Taschenlampe erreichte er die Haustür, und als er die Treppen hochstieg, stellte er sich vor, dass Eleonora schon in seinem Bett auf ihn wartete. Sie hatte ja die Schlüssel und konnte kommen und gehen, wann sie wollte.
Ganz vorsichtig öffnete er die Tür und sah durch den Spalt, dass alles dunkel war. Mit angehaltenem Atem ging er durch den Flur bis zur Schlafzimmertür und leuchtete mit der Taschenlampe aufs Bett … es war leer. Er hatte ziemlich fest damit gerechnet, dass sie dort wäre, und war jetzt regelrecht enttäuscht, als ob sie ein Versprechen nicht eingehalten hätte.
Dieser Tag war lang und anstrengend gewesen, und er fühlte sich vollkommen erledigt. Er putzte sich die Zähne, so gut es ging, mit einem halben Glas Mineralwasser. Dann zündete er einige Kerzen auf dem Nachttisch an, zog sich aus, schlüpfte unter die Decken und wollte sich mit Herodot trösten. Das hatte er also vergessen: einen Gasofen zu kaufen. Es war ein reines Wunder, dass er trotz all der Nässe und Kälte, der er sich ausgesetzt hatte, nicht wieder krank geworden war. Vielleicht hatte ihn das starke Fieber der letzten Tage widerstandsfähiger gemacht. Jedoch nicht Frauen gegenüber …
Casini wachte früh auf, und sein erster Gedanke galt Eleonora. Es war noch dunkel. Auf schmerzenden Beinen schleppte er sich in die Küche. Im Schein seiner Taschenlampe machte er sich einen Kaffee. Fast wie im Krieg … Und im Halbdunkel der Erinnerung sah er seine Gefährten vorüberziehen, die von Minen zerrissen, im Gefecht
Weitere Kostenlose Bücher