Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Roman
dreizehnjährigen Giacomo Pellissari vergewaltigt und getötet … Habe ich mich jetzt klarer ausgedrückt?«
»Sie wissen ja nicht, was Sie sagen.«
»Das kommt schon mal vor.«
»Das betrifft mich nicht.«
»Ich werde Beweise finden, und dann zerre ich Sie vor Gericht.«
»Ich rate Ihnen, noch einmal nachzudenken, bevor Sie so etwas äußern.« Sercambi lächelte kaum merklich.
»Und Ihnen rate ich, sich kurz mit diesem armen Christus zu besprechen, der hier über Ihrem Kopf schwebt, vielleicht kann er Ihnen einen wertvollen Rat geben.«
»An dieser Stelle muss ich unser Gespräch leider abbrechen.« Sercambi drückte auf einen Knopf an der Seite des Schreibtischs.
»Es muss offenbar sehr erregend sein, einen kleinen Jungen zu vergewaltigen, der um Hilfe schreit.«
»Ich glaube nicht, dass ich Ihnen noch etwas zu sagen habe.« Die Tür öffnete sich, und der kleine hinkende Mann erschien wieder.
»Bring den Herrn hinaus, Vito«, sagte der Monsignore und ließ keinerlei Gefühlsregung erkennen. Casini lächelte, obwohl ihm überhaupt nicht danach war. Er beugte sich vor und sagte so leise, dass nur Sercambi ihn verstehen konnte:
»Schließen Sie mich in Ihre Gebete ein, Monsignore. Ich bin das Werkzeug Gottes, um Ihre verdorbene Seele zu retten.«
»Leben Sie wohl, Commissario«, sagte der Prälat. Casini ließ die Asche seiner Zigarette auf den Schreibtisch fallen und verließ den Raum. Der kleine Mann begleitete ihn schweigend durch Flure und Räume zurück. Er wirkte verkniffen und leicht hochmütig, wie es die Diener der Mächtigen häufig sind. Am Ausgang schloss der Mann nach einem stummen Gruß die Tür hinter ihm. Amen.
Es war neun Uhr abends, als Casini seinen Fernseher einschaltete. Er hatte gerade erst die Wohnung betreten und im Schlafzimmer den kleinen Ofen angestellt, damit er im Warmen schlafen konnte. Dann zog er sich die Schuhe aus und ließ sich mit einem Teller Lasagne, die ihm Totò mitgegeben hatte, auf das Sofa fallen. Jetzt wollte er keinen Menschen sehen, außer ihr. Er hoffte, die Widerwärtigkeiten dieses Tages abschütteln zu können, aber das war nicht so einfach. Unentwegt musste er an Signorinis Geständnis denken, an dessen Selbstmord, an den Toten mit dem zerschmetterten Kopf, der dort noch immer vor der Villa lag, an sein abstoßendes Gespräch mit Sercambi …
Während er die Lasagne aß, sah er sich die Nachrichten an. Dort hieß es, in Florenz kehre man zur Normalität zurück, aber jeder in der Stadt wusste, dass dies eine Lüge war. Tonnen von Schlamm und Schutt bedeckten noch immer die Straßen, und Tausende Autowracks warteten auf ihren Abtransport. In eini gen Vierteln gab es weder Licht noch Telefon oder Gas, ja nicht einmal Wasser. Viele Ladeninhaber und Handwerker hatten alles verloren und keine Chance, wieder mit ihrer Arbeit zu beginnen. Hunderte Familien konnten nicht zurück in ihre Wohnungen, man hatte sie auf Kosten der Stadt in Hotels untergebracht. Löschfahrzeuge waren Tag und Nacht im Einsatz, um die dreckige Brühe aus den Kellerräumen der öffentlichen Gebäude zu pumpen, und Tausende Männer und Frauen, Soldaten und Studenten kämpften noch immer mit den Schlammmassen. Lange Schlangen standen vor der Lebensmittelausgabe im Fußballstadion, vor den wenigen geöffneten Läden, an den Tankwagen. Das Careggi-Krankenhaus war völlig überfüllt. Hinzu kamen zahlreiche Kunstwerke und Tausende alte Handschriften, die von Schlamm und Heizöl verschmutzt waren. Und im Umland war die Lage noch schlechter … So sah also die Normalität aus.
Casini blätterte die Zeitung durch, um das Fernsehprogramm zu finden, dann stand er auf, um das Programm zu wechseln. Mit einem Glas Wein und einer Zigarette in der Hand sah er sich die zweite Folge von »Der Graf von Monte Christo« an. Eleonora fehlte ihm, ihr Lächeln, ihr Duft … und alles andere. Doch daran dachte er jetzt besser nicht. Mit den jungen Frauen von heute musste man Geduld haben.
Nach dem Film begann eine Sendung mit Orietta Berti. Casini schlief schon nach dem zweiten Lied im Sitzen ein. Ihm sank das Kinn auf die Brust, und er schnarchte. Er sah weder die Tore in der Sportsendung noch die Spätnachrichten, ja er merkte nicht einmal, als sich ein Schlüssel im Schloss drehte. Oder dass Eleonora hereinkam und den Fernseher ausschaltete. Er wusste nicht, dass sie ihn betrachtete und was dieser wunderschönen jungen Frau durch den Kopf ging, in die er sich so überstürzt verliebt hatte. Hätte er es
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