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Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Roman

Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Roman

Titel: Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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fragte der Mann. Daraufhin betrachtete Casini ihn genauer, und plötzlich erinnerte er sich.
    »Sag mir nicht, du … bist Poggiali …«
    »Das, was von ihm übrig ist«, sagte Poggiali lächelnd. Casini half ihm auf die Beine, und der andere stützte sich an der Mauer ab, um nicht hinzufallen.
    »In der Schule war es genauso, weißt du noch?« Poggiali befühlte seine Zähne, um zu sehen, ob noch alle an ihrem Platz saßen.
    »Ich erinnere mich vage«, sagte der Kommissar und zuckte die Achseln. Ehrlich gesagt erinnerte er sich noch genau an die Schulzeit, als der Faschismus das Bild vom dominanten Mann glorifizierte, der sich die Frauen mit seiner Potenz gefügig machte. Schon in der Mittelstufe zogen die Jungen über Schwule her und verprügelten sie manchmal auch, obwohl zahlreiche Schüler ihnen dann auf die Toiletten folgten, wo sie sich für ein paar Münzen einen runterholen ließen.
    »Du teilst kräftig mit den Händen aus«, sagte Poggiali.
    »Als Junge habe ich ein bisschen Faustkampf betrieben.«
    »Gott segne das Boxen.«
    »Ich wohne dort hinten. Komm mit, da kannst du dich ein wenig säubern«, sagte Casini und hob Rosas kleinen Schirm auf.
    »Ich wohne auch in der Nähe, warum kommst du nicht mit zu mir?«
    »Wie du willst«, sagte der Kommissar, der neugierig auf Poggialis Wohnung war. Sie gingen Seite an Seite die Via Maggio entlang. Poggiali wischte sich fortwährend das Blut aus dem Gesicht und hinkte fast so stark wie Piras.
    »Nur du und ein paar andere Mitschüler haben mich in Ruhe gelassen.«
    »Ich muss dir gestehen, damals empfand ich keine Sympathien für Leute wie dich.«
    »Und heute?«
    »Gute Frage …«
    »Was stört dich denn genau an uns Schwuchteln?«, fragte Poggiali so geradeheraus, dass Casini schmunzeln musste.
    »Das ist für Leute unserer Generation kein einfaches Thema«, räumte der Kommissar ein.
    »Auch für junge Männer von heute nicht, wie du siehst.«
    »Idioten gab es schon immer und wird es auch immer geben.«
    »Eigentlich müsstet ihr glücklich sein, nicht? So habt ihr weniger Konkurrenten, die Jagd auf kleine Mäuschen machen.«
    »So habe ich das noch nie gesehen.«
    »Also, was schert es euch, dass wir Männer mögen?«, fragte Poggiali und bog in den Sdrucciolo de’ Pitti ein. Casini wusste nicht, was er ihm antworten sollte, und sein früherer Mitschüler lächelte.
    »Wenn ihr einen Schwulen seht, denkt ihr sofort an etwas Perverses, Sexuelles. Ihr stellt euch vor, wie zwei Männer bumsen, und das verstört euch.«
    »Vielleicht hast du recht«, sagte der Kommissar.
    »Und ich kann dir versichern, auch wir vom anderen Ufer ha ben eine gewisse Bandbreite von Gefühlen, genau wie ihr nor malen Menschen«, sagte Poggiali heiter ironisch. Er drückte eine abgeblätterte Haustür auf, und sie stiegen eine steile Treppe bis zum vierten Stock hinauf. Poggialis Wohnung war nicht sehr groß, doch der Flur strahlte eine extravagante Eleganz aus. Sie betraten ein kleines Wohnzimmer, das mit kleinen Statuen, Theatermasken, Keramikgefäßen, verrückten Bildern, Tierfiguren aus Ton, Büsten von Heerführern und zarten Knaben sowie Sträußen getrockneter Rosen vollgestopft war. Zwei Wände waren bis zur Decke mit Büchern zugestellt. Poggiali öffnete einen innen verspiegelten Barschrank.
    »Bedien dich nur, ich gehe ins Bad, um mich in Ordnung zu bringen«, sagte er und verließ den Raum. Casini suchte in Ruhe unter den Flaschen. Er fand einen französischen Cognac und schenkte sich ein kleines Glas bis zum Rand voll ein. Dann ließ er sich auf eines der beiden mit künstlichem Tigerfell bezogenen Sofas fallen. So einen Raum hatte er noch nie gesehen, und sein Blick blieb an tausend Gegenständen hängen, die sich gegenseitig den Platz streitig machten. Es gab eine Menge Schildkröten jeder Beschaffenheit und Größe. Eine stand auf dem Boden und war mindestens einen Meter lang, die kleinste hockte lächerlicherweise auf einem Fez aus den zwanziger Jahren. Ein seltsames Miniaturmuseum, wo ein ganzer Nachmittag nicht ausgereicht hätte, um sich jedes Stück anzusehen, und das genaue Gegenteil zu seiner kahlen, unordentlichen Wohnung, die in gewisser Weise düster wirkte.
    »Jetzt fühle ich mich wie ein neuer Mensch«, sagte Poggiali, der einen flatternden purpurfarbenen Morgenrock trug und Pantoffeln an den Füßen. Trotz der geschwollenen Lippe und dem Schnitt an der Wange wirkte er gelassen.
    »Du magst Schildkröten«, sagte Casini.
    »Das ist eine Frage der

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