Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Roman
massige Felsblöcke in einem Flussbett wirkten. Das düstere Grün der Eichen schien sich in der Luft auszubreiten und alles in ihrer Umgebung mit einem Grünstich wie auf alten Gemälden zu versehen. Der alte Mann fuhr sich mit einer Hand über das Gesicht, als wollte er eine Spinnwebe fortwischen.
»Noch heute ertrage ich es nicht, wenn ich irgendwo Deutsch höre«, sagte er und ging weiter.
»Mir geht es genauso«, brummte der Kommissar. Wenn er auf den Straßen im Herzen von Florenz einem Deutschen begegnete, der älter als vierzig war, musste er an den Krieg denken. Jedes Mal fragte er sich, ob dieser friedliche Tourist auf Familienurlaub damals einen seiner Kameraden getötet hatte, ob er Frauen und Kinder niedergemetzelt hatte wie in Sant’Anna di Stazzema oder vielleicht wirklich an diesem Massaker beteiligt gewesen war.
»Die Deutschen sind ein schlimmes Volk«, erklärte der alte Mann.
»Die Italiener haben das Gleiche und noch Schlimmeres getan, aber die Generäle, die diese Massaker befohlen haben, sind friedlich zu Hause in ihren Betten gestorben«, sagte Casini. Er dachte vor allem an Graziano und Badoglio, die den Einsatz von chemischen Waffen auf afrikanische Dörfer befohlen hatten, auf wehrlose Menschen. Er dachte auch an die italienischen Soldaten, die Frauen und Kinder getötet hatten, die vergewaltigt, gefoltert, gedemütigt und gebrandschatzt hatten. Diese Dinge standen nicht in den Schulbüchern. Dort las man vom tapferen einbeinigen Enrico Toti, der im Ersten Weltkrieg noch im Todeskampf seine Krücke gegen die feindlichen Stellungen geworfen hatte, aber kein Wort über diese Gräueltaten. Und die Italiener bildeten sich weiterhin ein, sie seien ein gutes Volk, ein Volk von braven Leuten, die die Zivilisation zu den armen Wilden brachten, die den Eingeborenen Straßen, Krankenhäuser und Schulen schenkten, ein großzügiges Volk, das andere Länder mehr mit dem Spaten als mit dem Gewehr eroberte.
Der alte Mann sagte nichts und behielt seinen Anteil Scham für sich. Schweigend liefen sie Seite an Seite wie zwei alte Freunde den Hügel hinunter. Eine halbe Stunde später erreichten sie La Panca und trennten sich mit einem Kopfnicken.
Casini sah erst auf die Uhr, als er seinen Käfer startete, um in die Stadt zurückzukehren. Zehn vor zwei. Während er die Schotterstraße von Cintoia hinunterfuhr, biss er gierig in das Schinkenbrötchen, das er im einzigen Laden im Ort gekauft hatte, einem Weinausschank, der noch nicht einmal ein Schild hatte. Durch den langen Spaziergang hatte Casini einen Bärenhunger bekommen, wie zu seiner Zeit in der Legion San Marco, wenn sie nach dreißig Kilometern Fußmarsch Halt machten und in einem Stall übernachteten. Nun wusste er, für wen er Dosenfleisch gegessen und Nazis getötet hatte, wusste, für wen er die Bürde dieses blutigen und dummen Krieges auf sich genommen hatte. Er hatte es für Giuggiolo und Menschen wie ihn getan, für die, die immer auf der Seite der Verlierer stehen würden. Und bestimmt nicht für die reichen Geschäftsleute, nicht für die Fabrikanten, die am Faschismus und an der Demokratie verdienten, am Krieg wie am Frieden. Auch nicht für die jungen Studenten, denen der Krieg und das ganze vergossene Blut vollkommen egal waren. Oder für das Pack, das jetzt im Parlament saß. Nein, er hatte es für Giuggiolo und Menschen wie ihn getan.
Er trank in einer Osteria ein Glas Wein, bevor er auf der Chi antigiana weiterfuhr. Je näher er der Stadt kam, desto mehr verließ ihn der Mut. Er sah sich schon im Büro vor der Akte Pellissari sitzen und unruhig auf dem Stuhl hin- und herrutschen. Es war dumm von ihm gewesen, sich der Illusion hinzugeben, dass ihn eine Telefonrechnung zu den Mördern führen könnte. Und als ob das noch nicht genügte, hatte der Polizeipräsident ihn dazu verdonnert, er solle am 4. November beim Fahnenappell zum Jahrestag des Sieges auf der Piazza della Signoria anwesend sein. Diese Gedenktage stimmten ihn nur traurig, und noch bevor er das Telefongespräch mit Inzipone beendet hatte, dachte er schon über eine Ausrede nach, um nicht hingehen zu müssen.
Er fuhr in die Stadt hinunter, und als er über den Ponte San Niccolò kam, sah er kleine Gruppen von Menschen an den Brückengeländern stehen. Sie beobachteten den Arno, der schnell unter den Brücken hindurchfloss, so angeschwollen und dunkel, wie man ihn noch nie gesehen hatte.
Sobald er das Präsidium erreicht und sein Büro betreten hatte, rief Casini im
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