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Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Roman

Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Roman

Titel: Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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irgendetwas, nein, er hatte einfach nur Lust auf einen langen Waldspaziergang, weil er fühlte, dass er ihn jetzt dringend brauchte. Seine Zigaretten hatte er im Wagen gelassen, um gar nicht erst in Versuchung zu geraten. Er stieg den Pfad nach oben, sog die Luft tief in die Lunge ein und hatte keinen anderen Wunsch, als sich ein paar Stunden Ruhe zu gönnen. Doch es gelang ihm nicht, seine Bitterkeit abzuschütteln. Er fühlte sich geschlagen, und das auf ganzer Linie, nicht nur als Polizist. Sein Leben war eine einzige Katastrophe. Er war allein, hatte keine Frau. Und fett wurde er auch. Seine Arbeit war ebenfalls ziemlich erbärmlich. Was tat er denn eigentlich? Er rackerte sich ab, um kleine Löcher in einem verschlissenen Gewebe zu flicken. Das war so, als würde man einen Leprakranken von einem Geschwür heilen. Wenn er Erfolg hatte, fühlte er sich, als hätte er wer weiß was für eine Mission erfüllt, und wenn nicht, kam er sich wie ein Versager vor. Wirklich ein großartiger Beruf! Vier Jahre noch, dann würde man ihn in den Ruhestand abschieben. Vielleicht hätte man ihn bis dahin zum stellvertretenden Polizeipräsidenten befördert. Am besten dachte er nicht weiter darüber nach …
    Nach einer halben Stunde erreichte er den Hügelkamm, wo der Pfad mehr oder weniger eben verlief. Große Schlammpfützen erschwerten das Vorankommen, und von den Hängen liefen kleine Bächlein hinab, die der Regen des Vortages gespeist hatte. Um die dunklen Stämme der Kastanien und der Eichen lag bläulicher Dunst, der von der feuchten Erde aufstieg. Für November war es nicht kalt. Aus dem Meer der herabgefallenen Blätter, die im Schlamm verrotteten, erhob sich ein bleiches Licht, gespenstisch und sanft zugleich, das die unterschiedlichen Färbungen des Waldes betonte.
    Casini dachte an den alten Mann, den er im Café Giubbe Rosse kennengelernt hatte, und fragte sich, was der für ein Leben führen mochte. Er hätte ihn gern wiedergesehen, um noch einmal den Klang dieser Stimme aus einer vergangenen Zeit zu hören. Er hatte sogar im Telefonbuch nach seiner Nummer gesucht, sie aber nicht gefunden. Vielleicht würde er ihm irgendwann noch einmal begegnen, und dann könnte wieder eine Banknote den Besitzer wechseln.
    Er lief an der großen Eiche vorbei, ließ die Abtei Monte Scalari hinter sich und folgte dem Weg nach Pian d’Albero. Heute war Allerseelen. Um diese Uhrzeit waren die Friedhöfe bereits voll von Menschen mit Blumen, und an den frischeren Gräbern würde so manche Träne vergossen werden. Er sah das Ehepaar Pellissari vor sich, wie sie auf dem Friedhof standen, Hand in Hand, und ungläubig die Fotografie ihres kleinen Giacomo anstarrten.
    Er blieb auf der Kuppe stehen, von wo aus sich der Blick ins Tal öffnete. Am Horizont verlief oberhalb der Hügelkette ein dün ner hellblauer Streifen. Ein klares, leuchtendes Hellblau, das Hoffnung verheißend wirkte, wie eine angelehnte Tür in einem Ge fäng nis. Der übrige Himmel war eine bleierne Kuppel, bedrückend und fleckig, allerdings war diese Kuppel in Bewegung. Er war tete, bis der blaue Streifen verschwunden war, dann setzte er seinen Weg fort.
    Der Pfad führte in einer verschlungenen Linie weiter auf und ab. Rechts von ihm fiel das Gelände steil nach unten ab zu einem Bach, der dem Blick jedoch verborgen blieb. Hin und wieder bemerkte Casini einen abzweigenden Weg, der tiefer in den Wald führte, und dachte, dass er diese gern alle erforschen würde. Als ihm eine große Wasserpfütze den Weg versperrte, war er gezwungen, am Rand des Abgrunds weiterzulaufen, an anderen Stellen musste er über nasse, rutschige Felsen klettern.
    Als ihm ein Metallgegenstand auffiel, der halb aus dem Erdreich hervorschaute, bückte er sich und hob ihn auf. Die intakte Patrone eines Maschinengewehrs. Er steckte sie ein und setzte seinen Weg fort, den Kopf voll von Erinnerungen an den Krieg. An einen schmutzigen Krieg, angezettelt von einem schwachen Mann, der sich hinter der Maske eines starken Mannes verbarg … Ein schwacher und mächtiger Mann. Ein despotisches Kind, das einen Panzer steuerte. Ein Kind, das Italien in einen dummen, grausamen Krieg verwickelt hatte, von dem die Italiener sich bis heute einredeten, dass sie ihn nicht verloren hatten, damit sie sich nicht schämen mussten. Sie begriffen nicht, dass ein Sieg eine noch größere Schande, eine noch tiefere Wunde bedeutet hätte als eine Niederlage. Zum Glück hatten sie diesen Krieg verloren, und sie hatten die

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