Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Roman
Schmach der Niederlage verinnerlicht. Es nützte überhaupt nichts, so zu tun, als wäre nichts geschehen …
Er hörte, wie ein großes Tier durch das Gebüsch eines Abhangs davonlief, doch er konnte es nicht ausmachen. Kurz danach herrschte wieder Stille, diese typische Stille des Waldes, die sich aus tausend Klängen und Geräuschen zusammensetzt. Ein Windstoß löste ein Gestöber von verwelkten Blättern aus, die wild durch die Luft wirbelten wie einst D’Annunzios Flugblätter über Wien.
Hinter jedem seiner Gedanken tauchte sie auf, die schöne Verkäuferin aus der Via Pacinotti. Wie eine Geistererscheinung, ein Duft, von dem Casini sich durchdrungen fühlte. Er sah ihre frech blickenden Augen vor sich, diesen schönen kindlichen Schmollmund eines kleinen Mädchens. Vielleicht stand sie ja jetzt auch auf einem Friedhof und brachte ihrem Großvater frische Blumen.
Er lief noch über eine Stunde weiter, bis er zwischen den Bäumen ein großes Steingebäude entdeckte. Nun hatte er Pian d’Albero erreicht. Er beschleunigte den Schritt, und kurz darauf machte der Wald einer breiten Lichtung Platz. Zu seiner Rechten erhob sich das Haus, in dem 1944 das Massaker stattgefunden hatte, vor einem Himmel, der so dunkelgrau war wie nasse Asche. Der Weg machte eine Biegung und führte direkt zum Haus. Zu seiner Linken zweigte ein schmalerer Pfad ab und verlor sich zwischen den Bäumen. Casini folgte dem breiteren, leicht ansteigenden Weg. Es war ihm, als hörte er das Rattern des deutschen Maschinengewehrs, das die Partisanen niedermähte. Ein Geräusch, das er nur allzu gut kannte.
Weiter vorn war eine weitere Abzweigung. Links musste es nach Figline hinuntergehen. Er lief bis zu dem Haus und blieb dann stehen, um es zu betrachten. Ein großes, verlassenes Haus, in dem nie mehr jemand wohnen würde.
Er wandte sich dem Tal zu. Von hier oben konnte man die Ebene des Arnotals sehen und im Hintergrund die verschwommene Silhouette der Hügel, über denen schwer und tief die Wolken hingen. Casini setzte sich auf einen großen viereckigen Stein, um seinen Beinen ein wenig Ruhe zu gönnen. Dabei stellte er fest, dass er kaum noch an Giacomos Mörder dachte, so als hätte er schon aufgegeben. Als er die Telefonrechnung im Wald gefunden hatte, war in der Dunkelheit ein Funken Hoffnung aufgeglimmt, der jetzt langsam erlosch.
Eine halbe Stunde später machte er sich auf den Rückweg und genoss es, Steine, Bäume und Pfützen wiederzuerkennen, die er auf dem Hinweg bemerkt hatte. Wie der Wald wohl zu anderen Jahreszeiten aussah? Das würde er bestimmt noch herausfinden. Inzwischen konnte er nicht mehr auf diese einsamen Spaziergänge verzichten.
Plötzlich erhob sich ein zartes und gleichzeitig tiefes Rauschen. Ein leichter Regen fiel, wie manchmal zu Beginn des Frühlings. Er dauerte nur ein paar Minuten an, gerade lange genug, dass die Farben der Pflanzen noch intensiver leuchteten.
Als Casini die Abtei Monte Scalari vor sich liegen sah, taten ihm die Beine weh. Er war es nicht gewöhnt, so viele Kilometer zu Fuß zurückzulegen. Und er hatte Durst. Er war ein Dummkopf, er hatte nicht einmal eine Wasserflasche mitgenommen. Er ließ die Abtei hinter sich und setzte seinen Weg ohne Eile fort, während er in seiner Tasche mit der Patrone herumspielte, die er auf dem Weg gefunden hatte.
Plötzlich sah er etwa dreißig Schritte vor sich im Wald eine menschliche Gestalt. Ein Junge rutschte den Abhang mehr hinunter, als dass er lief, und ruderte dabei mit den Armen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Als er den Pfad erreichte, blieb er stehen und sah sich verstört um. Er trug die Haare sehr kurz, und seine Kleider hingen an ihm herunter wie an einem Bügel. Casini ging zu ihm, weil er gern wissen wollte, was geschehen war. Der Junge hatte ihn bereits bemerkt und wartete starr mit gesenktem Kopf auf ihn.
»Guten Tag«, sagte Casini, während er näher kam. Der Junge blieb regungslos stehen und hatte das Gesicht zu einer Grimasse verzogen. Auf den ersten Blick schien er nicht ganz bei Verstand zu sein.
»Guten Tag«, wiederholte der Kommissar und blieb vor ihm stehen. Er sah, dass der andere kein Junge war, sondern schon ein Mann in den Dreißigern sein musste.
»Die Madonna ist böse auf mich«, flüsterte der Mann und schien dabei auf seltsame Art zu lächeln.
»Warum sollte sie?«
»Sie ist böse auf mich.«
»Hast du sie geärgert?«
»Sie ist schlecht … Sie hasst mich … Jeder weiß das …« Er wackelte
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