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Dunkle Wasser

Dunkle Wasser

Titel: Dunkle Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Jane Beaufrand
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wenn ich alles am Gasthaus hasste, einschließlich des Gartens, fühlte ich mich hier sicher.
    Im
Patchworks
war ein Monster nur ein großer Keks.
    Ich sah zum anderen Ufer, dann den Fluss hinauf. Meilenweit Bäume, meilenweit Geheimnisse. Die Vorstellung, was sich dort verbergen könnte, jagte mir eine Heidenangst ein.
    Langsam, Karen zuliebe, und immer noch in Kakihemd und weißer Schürze, wandte ich mich flussaufwärts und ging los.

Der Fluss führt nun etwas mehr Wasser. Gestern Nacht hat es zum ersten Mal stark geregnet, und ich versuche, das nicht als Vorboten zu sehen. Außerdem ist es heute herrlich. Schwer vorzustellen, dass es je Frost geben wird. Hier bleibt es ewig Sommer
.
    Karen geht vor mir her und macht von sich aus, wozu ich nicht den Mut zu fragen hatte
.
    Sie streift ihre Flipflops ab. Komm, Ronnie, wir gucken mal, was am anderen Ufer ist
.
    Sie setzt einen Fuß ins Wasser. Es sieht kühl und einladend aus, wie die Strömung ihre Knöchel umspielt
.
    Ich weiß nicht, sage ich. Die Steine sehen glitschig aus
.
    Ach, da ist nichts dabei, sagt Karen. Das hab ich schon oft gemacht
.
    Der Fluss ist wechselhaft, entgegne ich. Das sagt Ranger Dave jedenfalls immer
.
    Darum macht es ja solchen Spaß, sagt sie. Wer weiß, was wir entdecken? Vielleicht gibt’s da Höhlenzeichnungen

    Sind dort drüben Höhlen?
    …
oder eine neue Dinosaurierart
.
    Ich weiß, dass sie Dinosaurierfossilien meint, aber in Gedanken sehe ich etwas Riesiges mit großen Zähnen hinter uns herjagen
.
    Doch Karens Augen sprühen vor Entdeckerfreude
.
    Vielleicht finden wir auch einen Bigfoot, sage ich
.
    Das ist die richtige Einstellung, Clark
.
    Ich bin Lewis, sage ich. Clark war ein Idiot
.
    Meinetwegen. Los, komm
.
    Warte mal kurz. Willst du nicht lieber Apfelkuchen essen? Mit Karamellglasur?
    Ehrenwort, Ronnie. Dafür, dass du schon so groß bist, bist du echt ’ne Memme
.
    Karen, sage ich und beschwöre den strengen Ton herauf, in dem mein Vater immer spricht, wenn er etwas gar nicht lustig findet. Wir sollten jetzt lieber wieder gehen
.
    Na schön, lenkt sie ein. Lauf heim zur Ostküste, noch bevor wir am Mississippi sind. Du bist nicht mal Clark
.
    Doch sie folgt mir zurück
.
    Als wir umkehren, suche ich in ihrem Gesicht nach Anzeichen von Enttäuschung. Aber enttäuscht scheint sie nicht zu sein – sie scheint entschlossen, und ich weiß, sobald sie mich abgeschüttelt hat, wird sie hinübergehen, mitAbsicht weiter gehen als zuvor, nur um zu beweisen, dass sie es kann
.
    Wenn ich wirklich besorgt um sie bin, geh ich jetzt mit ihr mit, und wir erkunden zusammen
.
    Stattdessen locke ich sie mit Leckereien in mein Knusperhäuschen. Komm, meine Kleine. Dann kriegst du was Süßes
.
    Ich weiß, wenn ich sie hereinlocke, sperre ich sie ein, und ich weiß, was ich dann bin. Sie hat recht: Ich bin nicht einmal Clark. Ich bin noch viel schlimmer. Trotzdem will ich nicht hinübergehen. Sie findet sich schon damit ab. Zum Schmollen ist sie zu einfallsreich
.

10
    An jenem Nachmittag erlangte ich gerade mal Clark-Status. Ich war grauenvoll als Pionierin, doch für Karen kämpfte ich mich voran, bahnte mir einen Weg durch hohes Gras und Brombeerranken, den Blick auf das Ufer und den Fluss geheftet. Ich durchkämmte das Terrain, ein langsames Gehen, bei dem ich nach etwas Ausschau hielt, das jemand anders vielleicht übersehen hatte. Doch ich fand nichts Ungewöhnliches – Kojoten- und Kaninchenspuren (›Fährte‹ und ›Losung‹ hätte Ranger Dave es genannt, dabei waren es bloß Pfotenabdrücke und Kacke), einen großen Jaspisbrocken, ein Donnerei und vereinzelte leere Patronenhülsen.
    Die Patronenhülsen waren schon irgendwie unheimlich, doch auch wenn ich nach Unheimlichem suchte, konnteich mir nichts vormachen: Sie waren Wildererspuren, nicht mehr und nicht weniger. In der Gegend gab es jede Menge Maultierhirsche mit Samtohren und Moosgeweih, aber die Jagdsaison endete im Dezember. Entweder lagen die Hülsen schon zwei Monate da, oder es gab jemanden, der sich um so etwas Läppisches wie eine Jagderlaubnis nicht scherte.
    Ranger Dave hatte mir mal erzählt, dass nur die männlichen Hirsche gejagt werden dürfen, keine Hirschkühe und -kälber, und dass die Männchen sich daher beim ersten Kältehauch von ihrer Familie trennen, damit, falls sie abgeknallt werden, wenigstens die Weibchen und die kleinen Bambis in Sicherheit sind.
    Als Ranger Dave mir das damals erzählte, brach es mir beinah das Herz. Doch heute nicht.

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