Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkle Wasser

Dunkle Wasser

Titel: Dunkle Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Jane Beaufrand
Vom Netzwerk:
Vampire, Werwölfe und Bigfoots erfanden. An solche Wesen ließ sich leichter glauben als daran, dass jemand mit menschlichem Antlitz einem kleinen Mädchen den Kopf einschlug.
    »Zieh keine voreiligen Schlüsse, Ronnie. Wir wissen es erst, wenn der Obduktionsbericht vorliegt. Aber ich wollte dich schon mal warnen. Wenn du unbedingt allein vor dieTür musst, ist es wahrscheinlich besser, du hast was bei dir.«
    »Sie meinen mein Handy?«, fragte ich.
    Sie schüttelte den Kopf. »Weißt du, wie man Pfefferspray benutzt?« Sie suchte an ihrem Gürtel herum und holte etwas hervor. Ein Ledertäschchen, das aussah wie ein Lippenstiftetui.
    Sie zog den Druckknopf auf. »Hier«, sagte sie und warf es mir zu. »Wenn du laufen gehst, dann lass es so offen. Und halt es griffbereit.«
    Ich fing es auf und schaute es mir an. »Sieht aus wie ein Labello«, sagte ich, weil mir das als Erstes in den Sinn kam. Armselig. Das Einzige, was mir zu einer Waffe einfiel, war etwas, das man in der Kosmetikabteilung kaufen konnte.
    »Richte es nicht auf deinen Mund.« Sie drohte mir mit dem Zeigefinger. »Und sei bloß nicht zimperlich, Ronnie. Wenn was ist, dann benutz es. Ziel direkt in die Augen. Zier dich nicht aus Angst, jemandem wehzutun. Sprüh, und dann renn weg. Hast du mich verstanden? Ich weiß, dass du rennen kannst.«
    Ich nickte nur stumm, doch sie war mit ihrem Vortrag noch nicht fertig. »Ich mein es ernst. Sei vorsichtig da draußen. Du denkst, das hier ist nur ein kleines verschlafenes Nest, in dem man sich gegenseitig hilft. Die glatte Oberfläche täuscht, Ronnie. Man weiß nicht, was darunter vor sich geht.«
    Ich fröstelte. Mir war, als hörte ich den Fluss heulen:
Monster, Monster, Monster

    »Was passiert hier bloß?«, sagte ich, mehr zu mir selbst als zu Sheriff McGarry.
    Sie seufzte, strich ihre Synthetikhose glatt und stand auf. »Wenn ich das nur wüsste«, sagte sie. »Jetzt muss ich der armen Familie gegenübertreten. Jesses.« Ich sah, wie sie ihre Züge glättete. Alle Müdigkeit wich aus ihrem Gesicht und sie war wieder vollkommen ruhig und gefasst. Sie musste ihre Arbeit machen.
    Bevor sie ging, blieb sie noch kurz in der Tür stehen. Ohne sich zu mir umzudrehen, sagte sie: »Übrigens, achte mal ein bisschen auf deine Freundin Gretchen. Sie könnte da in was reingeraten, aber vielleicht lässt sie sich noch zurückhalten.«
    Ich musste daran denken, wie Gretchen tief schlafend oben auf meinem Bett gelegen und sich gekratzt hatte. Worüber machte Sheriff McGarry sich Sorgen? Allergien? Überarbeitung?
    Ich wollte sie fragen. Ich wollte alles tun, damit sie bei mir blieb, weil ich das Gefühl hatte, dass sie die einzige Erwachsene war, die mir helfen konnte, durch diese neue, albtraumhafte Wildnis zu finden.
    Doch ich ließ sie gehen. Sie hatte Wichtigeres zu tun, und wie üblich konnte ich nur helfen, indem ich losließ und keinen Aufstand machte.
    Ich lehnte mich an die Tür und blickte ihr nach. Sie straffte sich, und auf ihrem Weg hinaus sagte sie Nein zu a) Crostini, b) Krabbenbällchen und c) großen warmen Maisbrotstücken, aus denen herb-süße Heidelbeermarmeladetroff. So viel zum Klischee, dass Polizisten gern Kuchen mögen, dachte ich. Sie brauchte kein Trostessen.
    Und wie ich ihre Haltung sah, so voller Würde und Verantwortung, riss es mich schließlich aus meinem Tran.
    Vielleicht, dachte ich, macht der Beruf sie gar nicht kaputt. Vielleicht hält er sie aufrecht. Während wir anderen aus dem Weg traten und einander Gebäck, Blumen und Stylingtipps gaben, weil wir nicht wussten, wie wir sonst helfen sollten, konnte sie tatsächlich etwas tun.
    Ich rappelte mich auf und öffnete entschlossen die Verandatür.
    Ich wusste nicht, ob Karen hier oder woanders verunglückt war. Ich wusste nicht, ob es ein schlichter Unfall gewesen war oder etwas, dem ich noch immer nicht ins Auge sehen wollte. Doch Karen zuliebe würde ich das.
Guck mal, Ronnie. Guck doch
.
    Es regnete immer noch. Baguetteförmige Schneereste säumten den Weg durch den Garten zum Wasser. Oben am Ufer blieb ich stehen, an unserem Ufer, wo das Wasser zahmer war als dort, wo ich Karen gefunden hatte. Sieben glatte Steine bildeten eine Treppe hinunter zum Fluss. Am Fuß der Stufen lagen weitere Steine aufgeschichtet, die abseits der Stromschnellen einen ruhigen Teich entstehen ließen. Darüber lehnte sich eine uralte Zeder, deren Äste förmlich um ein Schwingseil bettelten.
    Zu ungefährlich
, sagte die Stimme in meinem Kopf. Auch

Weitere Kostenlose Bücher