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Dunkle Wasser

Dunkle Wasser

Titel: Dunkle Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Jane Beaufrand
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Donnerei
.
    In der Küche blickt Tomás jetzt zu Karen, die ihm stumm
Na los
signalisiert. Sie tritt ihn sogar vors Schienbein
.
    Toll, brummt er mir zu. Vielleicht –
    Veronica?, ruft Mom und schüttelt sich eine Locke aus den Augen. Ihr Gesicht ist vor Hitze und Stress gerötet. Wir haben Kundschaft. Das Essen muss zu Tisch sieben
.
    Sekunde mal, sage ich zu Tomás und balanciere mein Tablett vorsichtig zur Küchentür hinaus. Diesmal kein verschüttetes Ceviche. Punkt für mich
.
    Als ich wieder hereinkomme, bin ich bereit, ihm mein Ohr zu leihen. Gerade will ich sagen: Okay, jetzt bin ich für dich da, jedenfalls so lange, bis ich wieder aufspringen muss, also jeden Moment. Eigentlich bin ich zwar ein Einzelkind, aber für dich spiel ich gern die Stiefschwester. Gemeinsam sorgen wir dafür, dass aus den Flicken unserer Patchworkfamilie ein Ganzes wird
.
    Doch als ich rückwärts durch die Schwingtür komme, sehe ich etwas, das mich irritiert. Karen reckt den Arm hoch und stößt Tomás den Finger in die Brust
.
    Du siehst vielleicht aus wie Hulk, aber du bist bloß ein Riesenwaschlappen, faucht sie vorwurfsvoll. Tomás wird so klein, dass Karen größer wirkt als er
.
    Als ich Tomás nachher frage, was er von mir wollte, sagt er
ach, nichts.
Als ich Karen getrennt von ihm befrage, sagt sie auch
ach, nichts.
Doch ich werde das Gefühl nicht los, dass die zwei mich irgendwie reingelegt hätten, wenn es nicht so trubelig gewesen wäre
.

11
    In der Dämmerung kehrten Tomás und ich von unserer Suche zurück. Um die Zeit begann im Gasthof sonst der Abendstress, doch diesmal war es anders. Während wir im Wintergarten standen und den Regen abschüttelten, registrierte ich die Veränderungen. Entlang der Restaurantfenster hatte Mom Speisenwärmer aufgestellt. Merkwürdig. Mom hielt doch nichts von Buffets. Sie fand, das seien Salmonellenbrutstätten, ein Zeichen für einen faulen Koch, der sonntagmorgens Fertigrührei mit Schinkenimitat serviert.
    Neben der Wintergartentür waren Sachen deponiert – Pfifferlinge in Papiertüten aus dem Lebensmittelmarkt, Gläser mit eingemachten Brombeeren und Gewürzpfirsichen, Essiggurken mit einem Etikett, auf dem ›Tante Irmas Erlesenste‹ stand. Und nicht nur Essensvorräte, auch handgestrickteMützen, Mohairdecken und alte Videos von Babar und Dora der Entdeckerin – alles in einem riesigen Weidenkorb, auf dem eine Liste mit der Überschrift ›Kinderbetreuung Armstrong‹ lag. Sie war komplett mit Namen ausgefüllt.
    »Was ist denn das?«, fragte ich Tomás und tippte auf das Blatt Papier, das sich unten schon ein wenig aufrollte.
    Er zuckte mit den Schultern und stampfte sich das Flusswasser von den Stiefeln. »Genau das, wonach es aussieht«, sagte er. Ich wusste nicht, ob er das sarkastisch meinte, und bevor ich ihn fragen konnte, trampelte er schon in die Küche.
    Ich sah mir die Liste noch einmal an und spähte dann durch das Wintergartenfenster. Das ganze Erdgeschoss war voller Menschen. Ich weiß nicht, was Mom in den Speisenwärmern hatte, aber die Leute aßen es – manche von ihnen von Papptellern, die sie auf dem Sofa sitzend auf dem Schoß balancierten. Von Papptellern hielt Mom normalerweise auch nichts.
    Der Kumbaya-Typ war immer noch da, nur spielte er inzwischen
The Long and Winding Road
. Niemand sang mit, aber es plauderte auch niemand. Soweit ich es vom Wintergarten aus erkennen konnte, war die Stimmung traurig und respektvoll.
    »War ’ne schlaue Idee, alles hierher zu bringen.« Dad lehnte sich an den Türpfosten, zwei Finger locker um den Hals einer Flasche Hefeweizen gelegt. »Alle haben dasselbe gesagt. Eigentlich wollten sie den Armstrongs Thunfischauflaufbringen, aber sie meinten, deine Mom kann die Hilfe besser koordinieren.«
    Als ich die Leute durchs Fenster sah, fühlte ich mich wieder wie an jenem Abend, als ich den Häschenkadaver weggeschaufelt hatte, während alle anderen drinnen im Warmen saßen: so als würde ich etwas umkreisen, um einen Weg hinein zu finden. Also riss ich mich in bewährter Manier zusammen.
    »Ich kann jetzt wieder arbeiten«, sagte ich.
    »Musst du nicht, wenn du nicht willst«, sagte Dad. »Gretchen, Tomás und Gloria Inez springen für dich ein, wenn du Zeit für dich brauchst.«
    Ich rang mir ein Lächeln ab. »Wenn ich’s mir aussuchen kann, möchte ich mich lieber beschäftigen.«
    Dad lächelte zurück, und es schien, als lächelten sogar seine Augen mit, wie um zu sagen, dass er genau wusste, was ich meinte.

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