Dunkle Wasser
Wagen vorsichtig auf den Highway manövrierte. »Sag ihm, dass wir zum Tierarzt fahren. Erzähl ihm von dem Hund. Kein Wort darüber, wo du ihn gefunden hast, ja? Sag einfach, er wär auf den Sportplatz gelaufen.«
Ich murmelte ein Danke und sagte, ich würde es wiedergutmachen. Seine Enttäuschung machte sich im Wagen breit wie der Siebzig-Kilo-Hund auf der Rückbank.
»Und ob du das wirst«, sagte er. »Du kannst nicht mehr einfach so abhauen. Das ist gefährlich.«
»Hab ich auch schon gehört.«
Er drohte mir mit dem Finger. »Werd bloß nicht frech, Madame. Wir müssen deinem Leichtsinn irgendwie Einhalt gebieten.«
»Was schwebt dir denn so vor?«, fragte ich.
»Weiß ich noch nicht. Aber glaub mir. Das hier hat Konsequenzen.« Er sog die Luft ein. »Pfui Teufel! Hast du geguckt, ob er eine Hundemarke hat?«
»Keine Marke«, beeilte ich mich zu sagen. Das Tier hatte zwar jemandem gehört, aber der hatte sein Besitzrecht verwirkt.
Ranger Dave nickte nur und öffnete einen Spalt weit das Rückfenster, um den Gestank zu vertreiben. Die ganze Fahrt über hielt der Hund seine ekelhafte Schnauze mit traurigem Blick in die frische Luft.
In Salem übernahm die Tierarztpraxis und setzte den Hund mit einem schnell wirkenden Narkosemittel außer Gefecht, um seine Ohren zu vernähen und die tiefen Schnittwunden zu säubern.
Während wir warteten, lief Ranger Dave auf dem Parkplatz auf und ab und telefonierte, vermutlich mit dem Tierschutz oder der zuständigen Behörde. Ich hörte nicht mit, nahm aber an, er versuchte es so zu drehen, dass er den Hund in seine Obhut nehmen konnte, damit er sich in der Forststation erholte.
Endlich erschien der Tierarzt, ein Typ mit grauem Schnurrbart, der einen Kittel mit comicartigen Welpen und Kätzchen trug. Den Hund hielt er an einer Leine. Es war einer der lustigsten Anblicke, die ich je gesehen hatte, denn der Hund trug eine Art umgestülpten Lampenschirm um den Kopf und lief damit ständig irgendwo gegen. Taps, taps,
bumm!
Taps, taps,
bumm!
»Bitte sehr, junge Dame«, sagte der Tierarzt und drückte mir nicht nur die Leine, sondern auch eine Tüte mit der Aufschrift ›Tierärztliche Gemeinschaft Salem‹ in die Hand. »Fressnapf und Dosenfutter, damit sie zunimmt. Geimpft ist sie jetzt. Sie haben wirklich Glück. Unter dem ganzen Dreck steckt ein prächtiges Mädchen. Sieht aus, als hätten Sie sich einen reinrassigen Mastiff geangelt.«
Mit offenem Mund, die Leine in der einen, die Tüte in der anderen Hand stand ich da, während sie sich auf meine Füße setzte und gutmütig mit der Vorderpfote nach mir patschte.
»Ronnie«, sagte Ranger Dave. »Sie will, dass du sie streichelst.«
Nein, nein, nein. Das war alles falsch.
Sie
gehörte nicht mir. Ich war kein Hundemensch. Und erst recht kein Mastiffmensch. Ein Mastiff mit ausgefransten Ohren und, machen wir uns nichts vor, einem echt üblen Gestank. Sie schien keinen Zentimeter Fell zu haben, der nicht kahl geschoren, genäht, eklig oder alles zusammen war. Ich wollte sie nicht streicheln. Ich wollte, dass sie aus meinem Leben verschwand. Hatte ich meine Schuldigkeit etwa nicht getan? Ich hatte sie vorm Verhungern gerettet.
An Ranger Dave gewandt sagte ich: »Es geht doch nur um die Fahrt nach Hause, stimmt’s? Dann kümmerst du dich um sie.«
»Ich nicht«, sagte er mit einem verschmitzten Grinsen. Und da begriff ich. Ich blickte hinunter in das Hundegesicht –
ihr
Gesicht – und mir war klar, dass ich in die große haarige Schnauze meiner Konsequenzen sah. Ranger Dave hatte nicht mit dem Tierschutz telefoniert, sondern mit meinen Eltern, die zu dem Schluss gekommen waren, dass so ein Haustier doch eine schöne Sache für mich sei.
Auf der Autofahrt nach Hause wurde meine Laune auch nicht besser, denn das blöde Kalb blieb einfach nicht auf der Rückbank sitzen. Auf lautlosen Pfoten schlich sie sichzu mir nach vorn und versuchte, sich auf meinen Schoß plumpsen zu lassen. Offenbar dachte sie, wenn sie ganz langsam und leise ist, würde ich sie gar nicht bemerken. Aus zwei Gründen klappte das nicht: Erstens war sie kein zierliches Zwerghündchen und zweitens war ihr immer der Lampenschirm im Weg. Zweimal schubste ich sie stinkwütend zurück. In meinen Augen war sie nur noch ein weiterer Anker, der mich an ein Leben band, das ich nicht wollte.
Beim dritten Mal gab ich es auf, sie vom Schoß zu schubsen. Es war weniger anstrengend, ihr ihren Willen zu lassen. Mit siebzig Kilo schmutzigem, stinkendem Hund in
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