Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkle Wasser

Dunkle Wasser

Titel: Dunkle Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Jane Beaufrand
Vom Netzwerk:
sagte er. »Wir drehen alle ein bisschen am Rad. Ich dachte nur …«
    Er starrte auf seine Schuhe. Irgendetwas traute er sich nicht zu sagen, wie an dem Tag, als Karen ihm einen Schubs gegeben hatte, damit er mich etwas fragte, wozu es dann nicht mehr kam. »Was dachtest du nur?«
    »Keine Ahnung. Wahrscheinlich, dass wir hier sicher sind.«
    Ich nickte. Das hatte ich auch geglaubt, und bei mir war das Gefühl nicht mal besonders ausgeprägt, denn das
Patchworks
war für mich immer noch vor allem eins, nämlich nicht die Stadt. Aber für Tomás war das anders. Er brauchte es, hier zu sein, umgeben vom schützenden Kokon seiner und meiner Familie. Und ich fragte mich, was es wohl war, dem er zu entkommen suchte.
    »Wovor willst du sicher sein?«, fragte ich.
    Tomás rieb sich das Handgelenk mit der eindrucksvollen Narbe. Sicher vor dem, der ihm die verpasst hatte. In vielerleiHinsicht erinnerte er mich an
la llorona
, auch er hütete seine Geheimnisse gut und gab sie nur zögernd preis. Aber wenn ich raten sollte, wovon er sprach, dann hatte er nicht nur seinen betrunkenen, prügelnden Vater im Sinn. Er meinte Wut und Tod, die Finsternis, die jede Nacht an meinem Zimmerfenster vorbeikroch. Doch während ich ihr Heraufziehen aus meiner warmen und sicheren Warte nur beobachtete, musste Tomás damit leben. Diese Finsternis war es wohl, der er entkommen zu sein glaubte, und dann hatte sie Karen überrascht.
    »Schon gut«, sagte ich. »Du musst es mir nicht sagen.«
    Ich sah hinauf in den Himmel, der mittlerweile dunkelrot geworden war. Wieder einmal kam ich nicht weiter. »Wir sollten umkehren.«
    Ich zerrte an Petunias Leine und machte mich in Richtung Gasthaus auf, dabei versuchte ich, nicht in die Brennnesseln zu treten. Über die Schulter hinweg hörte ich Tomás’ Stimme. »Ich möchte dich gern was fragen.«
    Ich wandte mich um. Mein Gefühl sagte mir, dass das, was nun kam, nichts mit seiner Narbe zu tun hatte. Vielmehr schien es mir, als rieselte ein wenig Vertraulichkeit aus ihm, und meine Aufgabe als Beinah-Schwester bestände darin, diesem Rinnsal zu einem stetigen Strom zu verhelfen.
    »Schieß los«, sagte ich.
    Wieder schwieg er eine ganze Weile. Das machte nichts. Ich konnte warten.
    »Weißt du jemanden, der mit mir gehen würde?«
    Fast hätte ich ihn gefragt, ob er es noch mal wiederholen könnte, denn damit hatte ich nicht gerechnet. Und erst in dem Moment wurde mir klar, dass ich tatsächlich mit etwas gerechnet und mir im Geiste sogar schon eine Antwort zurechtgelegt hatte.
    Während ich noch darüber nachdachte, verlor ich den Halt und fiel vornüber, mitten in etwas Hartes, Kratziges. Ich versuchte, mich wieder aufzurappeln, aber ich hing im Gestrüpp fest. Petunia eilte zur Hilfe, setzte sich auf meine Füße und schlug mit der Vorderpfote nach mir. Steh auf. Als es mir endlich gelang, mich zu befreien und hinzusetzen, betastete ich meine pochende Stirn. Über meinem rechten Auge bildete sich ein Donnerei.
    »Alles okay?«, fragte Tomás und hielt mir seine Hand hin. Ich ergriff sie nicht, denn in dem Augenblick bemerkte ich etwas im hohen Gras. Etwas Glänzendes, Diamantenes, wo doch eigentlich die hereinbrechende Dunkelheit jeden Glanz hätte verschlucken sollen.
    »Gib mir mal die Taschenlampe.« Ich nahm sie und kroch auf allen vieren auf den Gegenstand zu. Es war bloß Müll – eine leere Zigarettenschachtel. Zaghaft nahm ich sie in die Hand, wie einen toten Vogel. Warum schaute ich sie mir überhaupt so genau an? Müll sah ich doch ständig.
    Dann zog ich die verknüllte Packung auseinander und las das Etikett.
    Jakarta
.
    Beim Anblick der Buchstaben wurde mir so eisig kalt, wie einem wird, kurz bevor einem die Hände und Füße abfrieren– man fühlt zwar noch etwas, aber man weiß, dass man sofort aus der Kälte herausmuss.
    »Ist das nicht Keiths Marke?«, fragte Tomás.
    »Das hat überhaupt nichts zu bedeuten«, sagte ich. »Der treibt sich andauernd hier am Ufer rum und sammelt irgendwelchen Krempel für die Kunstprojekte seiner Mutter. Ich sehe ihn ständig hier.« Und das war nicht gelogen. Die Kippen hatten sicher nichts mit Karens Tod zu tun. Im Grunde bewiesen sie nur, dass Keith hier vorbeigekommen war.
    Warum also flüsterte mir eine innere Stimme zu, dass hier etwas nicht stimmte?
    Guck mal, Ronnie, guck doch
.
    In all den Monaten, in denen ich Karen gefolgt war, hatte sie mich gelehrt, das Außergewöhnliche zu entdecken. Und obgleich es mein erster Impuls war, den Fund zu

Weitere Kostenlose Bücher