Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkle Wasser

Dunkle Wasser

Titel: Dunkle Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Jane Beaufrand
Vom Netzwerk:
verdrängen, wusste ich es im Grunde meines Herzens besser.
    »Ronnie …«
    »Ich will das jetzt nicht hören.«
    Ich stand auf. Mit der Taschenlampe leuchtete ich den Boden und das Ufer ab. Dort lagen weder Schuhe noch Haarschleifen, nicht einmal irgendwelches Happy-Meal-Spielzeug. Tomás sah sich ebenfalls suchend um. Anderthalb Meter flussaufwärts stand eine hohe Zeder und ringsum war alles voller Brombeersträucher. Daran kam man unmöglich vorbei.
    So musste es gewesen sein: Keith hatte hier Material für seine Mom gesucht, eine geraucht und war dann wiedernach Hause gegangen. Es war ja Regenzeit. Er konnte seine Kippen ruhig hier hinwerfen, ohne gleich einen Waldbrand zu entfachen.
    »Für heute kann ich nicht mehr«, sagte ich. Eigentlich hätte ich
will
ich nicht mehr sagen sollen. Um diesen sinnlosen Tod zu verstehen, hatte ich viel zu verbissen gesucht, und drehte mich nunmehr strudelnd im Kreis.
    Ich machte mich auf den Heimweg.
    »Warte mal kurz«, sagte Tomás, nahm mir die Taschenlampe aus der Hand und leuchtete mir ins Gesicht. Vom grellen Licht tanzten mir Sterne vor den Augen.
    »Du blutest ja«, sagte er und strich mir etwas von der Schläfe.
    Ich fuhr mit der Zunge über die Oberlippe. Sie schmeckte nach Regen und noch irgendetwas – etwas Feuchtem, Scharfem.
    »Tut’s weh?«, fragte er und zog die Hand wieder weg. Seine Finger waren rot.
    Ja
, hätte ich beinah gesagt. Denn als er die Lampe wieder aus meinem Gesicht nahm, sah ich zunächst nur bunte Blitze und, erst als sie sich aufgelöst hatten, die Konturen seines Gesichts. Es war so markant und seine Wimpern so dicht, dass es mich in dem Moment nicht kümmerte, dass er kein cooler Typ war und sich nie unter seiner Baseballkappe hervorlocken ließ.
    Nein, das war nicht richtig. Ich konnte mich doch nicht zu ihm hingezogen fühlen! Schließlich war er so was wie mein Bruder. Und überhaupt, was war denn mit Keith?
    Ich fühlte nach der Zigarettenpackung in meiner Tasche. Das war noch lange kein Beweis. Bestimmt war Keith noch immer mein heldenhafter Rockstar.
    Dennoch, bei Tomás’ Anblick vor einem Himmel von der Farbe reifer Boysenbeeren, dachte ich nur daran, dass ich ihn aufgeben musste, noch bevor er jemals mein sein würde, ihn, der mir zuliebe jemandem den Mittelfinger gezeigt hatte. Und allein das war schon so schmerzhaft, dass mein Gesicht zu pochen begann.
    »Ronnie? Tut’s weh?«
    Mit geschlossenen Augen lauschte ich dem Fluss. Ich wusste nicht so recht, was ich fühlte, aber den Schmerz, den verdiente ich.
    »Nein«, sagte ich und bemühte mich, es zu glauben.

16
    Mom wollte mich in die Notaufnahme bringen, um die Beule auf meiner Stirn untersuchen zu lassen, eventuell hatte ich ja eine Gehirnerschütterung oder musste genäht werden. Tomás hielt das ebenfalls für eine gute Idee. Ich hatte aber keine Lust, eine Stunde im Auto zu sitzen, um ins nächste Krankenhaus zu fahren, dann weitere zwei Stunden auf einen Assistenzarzt zu warten, damit der mich dann mit einer Aspirin und einem Klaps auf den Hinterkopf wieder nach Hause schickte. Ich spielte mit der Jakarta-Packung in meiner Tasche. Ich war so müde und wollte einfach nur noch unter meine Lagen Patchworkdecken mit den Hundehaaren kriechen und schlafen.
    Zum Glück saß Ranger Dave in der
Astro-Lounge
. Ich war vielleicht kein Bärenjunges und entzog mich somitseiner Sachkenntnis, aber sein Erste-Hilfe-Schein war taufrisch und alle trauten seinem Urteil. Er kam zu mir nach oben, tastete mich kurz ab, fragte mich, ob ich ohnmächtig geworden sei, und als ich verneinte, sagte er zu Mom und Dad, sie sollten sich keine Sorgen machen, Kopfwunden würden immer stark bluten, was meine Eltern nicht sonderlich beruhigte.
    »Als Stirn-Model wirst du zwar für eine Weile nicht taugen, aber das wird wieder«, sagte Ranger Dave augenzwinkernd.
    Dad rang sich ein Lachen ab und Mom schenkte sich ein Glas Merlot ein.
    Am nächsten Morgen war alles geschwollen und tat weh. Ich dachte darüber nach, die Schule zu schwänzen und zurück zu dem Dornengestrüpp zu gehen, wo ich die Jakartas gefunden hatte, aber irgendwie konnte ich mich nicht dazu durchringen, denn allein schon beim Gedanken daran drohte etwas in mir zu zerbrechen.
    In den nächsten drei Tagen wich ich nicht vom Kurs ab, hackte Kräuter und las Esperanza vor. Insgeheim hoffte ich, dass ich, wenn ich blieb, wo ich hingehörte, mich weniger zerrissen fühlen würde. Aber keine Chance.
    Und dann kam der Samstag.

    Der

Weitere Kostenlose Bücher