Dunkle Wasser
ihren Arm aus. Tiefe rote Furchen zogen sich darüber und übel riechender Eiter quoll daraus hervor. Unter der Haut schimmerte etwas Rötlich-Schwarzes, es sah aus wie ein Spinnennetz. Ich wusste nicht, ob es Blut oder Gift war.
In diesem Moment flog die Tür mit einem lauten Krach aus den Angeln. Tomás kam hereingestürzt. »Oh mein Gott«, sagte er, als er uns sah. Drei Leute versuchten, sich hinter ihm hereinzudrängen, doch er hielt sie zurück und versperrte ihnen die Sicht. Gemurmel, dann Tomás’ entschiedene Stimme: »Pinkelt ins Gebüsch. Wir haben hier zu tun.«
Gretchen ließ von ihrem Arm ab und griff sich jetzt an die Stelle an der Schläfe. Ich schob ihren Pony zurück.
Was dort zum Vorschein kam, glich einer Szene aus einem Horrorfilm: Gretchen hatte sich dort so wund gekratzt, dass man bis auf den Schädel sehen konnte. Und sie wollte noch immer nicht aufhören!
Ich nahm ihre Hand weg und hielt sie fest umklammert. »Nein! Lass mich!«, kreischte sie hysterisch. »Die Spinnen! Sie sind noch da! Sie krabbeln überall auf mir herum! Nimm sie weg!« Sie schlug nach mir, versuchte, mich abzuschütteln, damit sie sich weiter blutig kratzen konnte. Wir rangen so lange miteinander, bis wir beide voller Kotze waren.
»Hilf mir doch!«, schrie ich. »Halt sie fest!«
Tomás übernahm meinen Platz, und noch während ich mein Handy aus der Gürteltasche zog, wurde ich klarer im Kopf und wählte den Notruf. Ich wusste, dass ich damit ziemlich viele Leute in Schwierigkeiten brachte, aber das war mir egal. Gretchen war in schlechter Verfassung, und ich hatte keine Ahnung, wie ich ihr sonst helfen sollte.
Durch nichts wird man Partygäste schneller los als durch Sirenen. Binnen zehn Minuten hörten wir ihr Heulen, binnen elf Minuten hatten sich alle vom Acker gemacht und der Nachthimmel war ein einziges rotes Blinken. Ein Trupp stämmiger Sanitäter, die allesamt in meinem Alter sein mussten, kam herein.
»Wo liegt das Problem?«, fragte der erste. Er konnte unmöglich älter als zwölf sein. Das allergrößte Vertrauen hatte ich nicht gerade in seine Fähigkeiten.
Ein zweiter Sanitäter übernahm Tomás’ Platz und hielt Gretchen fest.
»Was hat sie genommen?«, schleuderte mir der dritte entgegen.
Ich guckte nur dumm aus der Wäsche.
»Crystal Meth«, sagte Tomás.
Ich schaute zu ihm auf, er lehnte an der halb demolierten Tür. Woher wusste er das so genau? Das weiße Zeug auf dem Spiegel konnte doch alles Mögliche sein.
Aber in seinen Augen las ich es:
Er wusste es einfach
. Er sprach aus Erfahrung. Woher genau, vermochte ich nicht zu sagen, aber er kannte sich mit Crystal Meth aus.
Dann erst fiel mir auf, dass er ein Veilchen hatte. Sein rechtes Auge war zugeschwollen, und er hielt sich vor Schmerz die Brust.
»Sollen die Typen dich auch gleich mal untersuchen?«, fragte ich.
»Lenk nicht ab, Ronnie«, ächzte er, als würde ihm selbst das Sprechen schwerfallen. »Ich komm schon durch.«
Und seine Worte machten mir mehr Angst als alles, was ich bislang heute Nacht erlebt hatte.
Verdammt noch mal, bitte nicht Gretchen. Ich habe diese Woche doch schon einen geliebten Menschen verloren. Sollte es statistisch gesehen nicht unmöglich sein, zwei zu verlieren? Aber ich wusste, so funktionierte das nicht. Es gab keine Grenze dafür, wie viel ein Mensch ertragen musste.
Der Sanitäter, der über Gretchen kniete, sprach in sein Funkgerät und gab irgendwelche kryptischen Codes an das Krankenhaus weiter.
Ich wurde mit weiteren Fragen bombardiert: Wie alt ist sie? Was wiegt sie? Reagiert sie allergisch auf bestimmte Medikamente?
Ich beantwortete alles, so gut ich konnte. Sechzehn. Wenig. Nein.
»Nehmt sie weg von mir!«, schrie Gretchen. Zwei kräftige Sanitäter mit Oberschenkeln dicker als meine Taille waren nötig, um sie festzuhalten.
Der, der die ganzen Fragen gestellt hatte, wollte schließlich noch wissen: »Wie viel hat sie genommen? Wie hat sie es zu sich genommen?«
Ich deutete auf den Spiegel mit dem zusammengerollten Schein.
»Wie viel wissen wir nicht«, sagte Tomás.
»Könnt ihr es rausbekommen?«
»Nein«, sagte Tomás.
Ich besah mir sein geschwollenes Auge. »Er hat ihre Quelle davongejagt.«
Der Sanitäter musterte Tomás von Kopf bis Fuß. Dann sagte er »Alter!«, und zwar in einem Ton, der durchblicken ließ, dass er selbst liebend gerne einen Drogendealer verdroschen hätte, aber nun, da Tomás ihm zuvorgekommen war, blieb ihm nichts als Bewunderung. Dann drehte er
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