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Dunkle Wasser

Dunkle Wasser

Titel: Dunkle Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Jane Beaufrand
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sich zu mir um und sagte: »Dich kenne ich doch. Du bist das Mädchen, das neulich die Leiche gefunden hat.«
    »Nein, ist sie nicht«, sagte der, der Gretchen hielt, während sein Kollege irgendeine dicke Flüssigkeit aus einer Spritze drückte. »Das Mädchen war Veronica Severanceund als nicht zur Familie gehörig kann sie nicht mit uns im Krankenwagen fahren. Versuch’s noch mal.«
    Der Kerl drehte sich zu mir um und sah mich jetzt ernst und geschäftig an: »In welcher Beziehung stehst du zu dem Opfer?«
    Schleppend sagte ich: »Ich bin ihre Schwester. Der Typ da drüben ist ihr Bruder.«
    Tomás konnte nur noch zustimmend nicken. Er zitterte am ganzen Körper, stützte sich schwer gegen die Tür. Bestimmt hatte er sich was gebrochen.
    »Was geben Sie ihr?«, fragte ich, als einer der Jungs ihr die Spritze so heftig in den Arm jagte, dass Blut hervorquoll.
    »Gar nichts, Ma’am. Nur ein leichtes Beruhigungsmittel, damit sie die Fahrt gut übersteht. Im Salem General kümmern sie sich dann um den Rest.«
    Doch Gretchen wand sich immer noch schreiend. Sie war außer sich vor Schmerz. Ich wusste nicht, wie lange ich das noch mit ansehen konnte, und doch hätte ich sie nie alleingelassen. Mit meiner Willenskraft musste ich sie zusammenhalten.
    »Wie lange, bis die Wirkung einsetzt?«, fragte ich.
    »Ein paar Minuten«, sagte er. »Nun aber los.«
    Ich sah mich um. Zwei weitere stattliche Sanitäter schoben eine Bahre durch den kleinen Flur. Zeit für mich, den Weg für Leute freizugeben, die wussten, was sie taten – auch wenn sie vielleicht noch nicht so viele Jahre auf dem Buckel hatten, sie hatten zumindest kein Problem mit Nadelnund ließen sich durch Halluzinationen, Kotze und verfaulendes Fleisch nicht so leicht aus der Ruhe bringen.
    Ich ging zu Tomás hinüber und legte ihm einen Arm um die Taille; bestimmt stieß er, dieser riesige Machosuperheld, mich gleich von sich. »Komm, du kannst dich auf mich stützen.«
    Statt mich abzuschütteln, legte er seinen Arm auf meine Schulter und lehnte sich sanft an mich.
    Gemeinsam folgten wir der Bahre nach draußen: Schritt, Humpel, Schritt, Humpel. Tomás hielt sich die Seite, er war ziemlich schwer. Aber mir machte es nichts. Bei dieser langsamen Fortbewegung kam mein Herz wieder zur Ruhe.
    Als wir in den Krankenwagen kletterten, spürte ich, wie es nun wieder stark und regelmäßig schlug. Und das war auch gut so. Diesen Zustand der Panik, der mich glauben ließ, ich würde sprinten, obgleich ich stillstand, konnte ich nicht länger aufrechterhalten. Wenn ich den Menschen, die mir noch geblieben waren, helfen wollte, musste ich mir meine Kräfte einteilen.

18
    Im Salem General ließen die Jungs die Idee, Tomás und mich als Gretchens Geschwister auszugeben, fallen, und wir durften nicht mit ins Behandlungszimmer, solange sie »stabilisiert« wurde.
    Einer von ihnen musste wohl geahnt haben, dass ich gleich ausflippen würde, jedenfalls nahm er mich beiseite und sagte: »Sie wird durchkommen. Aber ab morgen steht ihr die Hölle bevor.«
    Während Gretchen im Eiltempo untersucht und in ein frisches Bett verfrachtet wurde, fiel einem massigen Krankenpfleger mit Stoppelfrisur und Marines-Tattoo auf, wie Tomás sich keuchend und mit Riesenveilchen die Rippen hielt. »Komm, Mann, dich checken wir auch gleich mal durch«, sagte er.
    Tomás wollte protestieren, aber der Marines-Typ führte ihn zurück in die Notaufnahme, dabei redete er unentwegt beruhigend auf ihn ein, als hätte er es mit einem etwas schwerfälligen und verstörten Tier zu tun.
    Ich blieb allein in dem Wartesaal mit Salzwasseraquarium, einer Frau mit Burka und brüllendem Baby und den Wiederholungen von
Friends
, die auf dem Fernseher an der Wand liefen, zurück. Meine Handtasche hatte ich bei Gretchen gelassen, also hatte ich nur mein Handy am Gürtel dabei. Ich versuchte, Dad anzurufen, aber da es die medizinischen Geräte störte, setzte man mich vor die Tür, und so fand ich mich auf dem Parkplatz wieder.
    Als ich Dad endlich erreichte, war er sofort alarmiert – geradezu gefechtsbereit. Ich sah auf die Uhr. Kein Wunder, es war ja auch schön längst über die Zeit.
    »Was ist passiert, Ronnie? Deine Mutter ist schon kurz vorm Nervenzusammenbruch. Wir haben die Sirenen gehört, aber als ich bei Gretchen ankam, waren alle verschwunden. Ich habe übrigens deine Tasche mitgenommen.«
    Am Klang seiner Stimme versuchte ich einzuschätzen, wie viel ich preisgeben durfte. Erzählte ich ihm alles,

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