Dunkle Wasser
zu tränen.
Gerade wollte ich einen erneuten Versuch starten, die beiden auseinanderzuziehen, als mir wieder jemand auf die Schulter tippte, diesmal war es Allison Lehman, und sie trat von einem Bein aufs andere. »Ich weiß, das ist gerade ungünstig, aber ein paar von uns müssen mal aufs Klo.«
»Und warum sagst du
mir
das?«, fauchte ich sie an.
»Das einzige Badezimmer hier ist schon seit einer Stunde besetzt«, sagte sie.
Das ließ mich hellhörig werden. Ich machte einen Bogen um die Kampfarena und stürmte durch den Flur. »Ist da jemand drin?«, rief ich und hämmerte gegen die Tür.
Keine Antwort.
Ich rüttelte an der Klinke, sie ließ sich herunterdrücken, aber die Tür ging trotzdem nicht auf. Mit der Schulter warf ich mich gegen das Holz, vergeblich.
Und auch ohne
la llorona
wusste ich, dass hier etwas nicht stimmte – etwas Schlimmeres als eine Schlägerei. Glasklirren drang vom Wohnzimmer herüber, gefolgt von dem Geräusch schwerer Körper, die zu Boden gingen.
Allison stand noch immer hinter mir, hielt sich ungeniert den Schritt.
»Egal wie du es anstellst, aber hol mir Tomás aus dem Gewühl«, sagte ich zu ihr. Womöglich war das Schloss nur kaputt, das würde Tomás ruck, zuck hinkriegen.
Unterdessen rannte ich nach draußen, um mir auf anderem Wege Zugang zum Bad zu verschaffen. Für Abwarten und Tee trinken war jetzt keine Zeit. Ich spürte meinenHerzschlag so deutlich, als wäre gerade irgendwo ein Startschuss gefallen.
Ich wusste nicht, was mich dort drinnen erwarten würde, nur eins wusste ich: Diesmal musste ich schnell sein.
Von weit her hörte ich den Fluss.
Lauf, Ronnie, lauf!
17
Ich zählte die Fenster ab, bis ich die Milchglasscheibe von Gretchens Badezimmer fand. Es war fest verschlossen. Gewaltsam zerrte ich am Scharnier, vielleicht konnte ich es aufschieben. Ich stemmte einen Fuß gegen den Rahmen, doch obwohl ich zog, bis mir die Nägel brachen und die Finger bluteten, bewegte es sich kein Stück. Ich musste das Fenster einschlagen.
Im Blumenbeet hielt ich Ausschau nach etwas, mit dem ich das Glas zertrümmern konnte. Verdammt, warum hatten diese Leute auch keine Gartenzwerge? Nichts.
Dann fiel mein Blick auf die schwarze Fensterdichtung, die schon ganz porös war. In langen schwarzen Fäden riss ich sie heraus. Daraufhin rutschte die Fensterscheibe die Wand hinunter und zersprang im Ziermulch. Scherben flogendurch die Luft und bohrten sich in meine Hose. Manche drangen durch den Stoff und ich spürte die scharfen Splitter an den Beinen.
Aber darum konnte ich mich jetzt nicht kümmern. Ich stemmte mich an dem schmalen Fensterbrett hoch, machte eine Rolle vorwärts und schlug schmerzhaft mit dem Rücken in der Dusche auf. Alle Luft wich mir aus den Lungen. Der Plastikvorhang mit den Gummientchen fiel herunter und bedeckte mich wie ein Leichentuch.
Ich kämpfte mich darunter hervor und sah mich um. Gretchen lag bewusstlos am Boden. Alles war vollgespuckt. Es roch streng, nach Kotze und Schlimmerem. Gretchens Jeans war nass zwischen den Beinen.
Wie still sie war. Bilder von Karens Körper am Fluss schossen mir durch den Kopf. Oh nein. Bitte nicht schon wieder.
Ich schaffe das nicht
, dachte ich. Aber ich musste. Ich schickte ein stummes Stoßgebet zum Himmel, irgendjemand möge sich bei den Göttern der Wiederbelebung für mich einsetzen.
Karen? Hilfst du mir?
Dann rollte ich Gretchen auf die Seite und fischte in ihrem Mund herum. Doch ich förderte nichts zutage, denn sie hatte schon alles von sich gegeben. Es klebte in ihrem Haar und auf den Fliesen.
»Gretchen!«, schrie ich und schlug ihr dabei unermüdlich auf den Rücken. »Gretchen, wach auf!«
Ihre Augen öffneten sich nicht.
Auf einmal bemerkte ich den Spiegel. Irgendjemand hatte ihn von der Wand genommen und übers Waschbecken gelegt.Ein aufgerollter Dollarschein und weiße Pulverreste lagen darauf.
Wumm!
Panik ergriff mich. Sie und Keith hatten hier gar nicht rumgemacht – sie hatten Drogen genommen. Das ging über meinen Verstand, ich verlor den Boden unter den Füßen.
Scheiße!
Ich legte ihr zwei Finger an den Hals, ihr Puls raste wie ein gejagtes Kaninchen.
Ba-dumm. Ba-dumm
. BADUMMBADUMMBADUMMBADUMM. Ich war froh, dass ihr Herz noch schlug, nur wünschte ich, es würde langsamer und regelmäßiger gehen.
Mit einem Mal kam sie zu sich.
»Nimm sie weg von mir!«, schrie sie, fiel über ihre Arme her und kratzte sich so heftig, als hätte man ätzende Säure über sie gegossen. Ich streckte
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