Dunkle Wasser
dass seine Spucke quer durchs Zimmer flog. Sein Lachen war so ansteckend, dass ich mitlachen musste.
Die Nacht war hart. Am anderen Ende des Gangs rang Gretchen mit etwas, das sie bei lebendigem Leibe zu verschlingen drohte. Allein beim Gedanken daran wurde mir kalt und speiübel, aber hier, in diesem Zimmer mit Tomás, fühlte ich mich geborgen, umfangen von Wärme, Zitronenduft und Händen, die mir Schmetterlinge auf die Haut malten.
Als ich auf den Flur hinaustrat, kicherte ich noch immer, wurde dann aber schnell ernst. Was hatte Dad bloß für Typen dabei? Was für eine Sorte Polizisten war das?
»Veronica, ich glaube, Kommissar Sadler und Kommissar Freeman von der Drogenfahndung kennst du bereits«, sagte Dad.
Kommissar Sadler nickte mir kurz zu. Dann griff er sich in die Jackentasche, zog sein Handy hervor und las eine SMS. Das verriet ihn. An der Art, wie er den Kopf neigte, erkannte ich ihn. Sicher, das Haar stand ihm nicht vomKopf und die Lippen waren auch nicht unter einer dicken Schicht Tigerbalsam verborgen, aber dennoch war er ganz unverkennbar. Beide waren sie unverkennbar.
»Der gute und der böse Brad?«
19
Der gute Brad konnte sich das Lachen nicht verkneifen. »Siehst du, ich habe dir doch gleich gesagt, dass du viel zu arrogant bist«, sagte er zu seinem Partner Kommissar Freeman.
Der böse Brad verschränkte die Arme vor der Brust. »Es ist ja nicht mein Job, mit Teenagern zu flirten.«
Dad räusperte sich. »Meine Herren, ich möchte Sie daran erinnern, dass ich direkt neben Ihnen stehe und überhaupt kein Problem damit hätte, Ihnen einen saftigen Prozess an den Hals zu hängen.«
Ich sah zwischen den Brads hin und her und versuchte, sie mir so vorzustellen, wie ich sie kannte. Es fiel mir schwer. Ohne Lippenbalsam und Skijacke sahen sie aus wie die geborenen Polizisten.
»Seit wann weißt du es?«, fragte ich meinen Vater.
»Es war meine Idee«, sagte er. »Ich dachte, das
Patchworks
bietet eine gute Anlaufstelle.«
»Hör zu«, sagte Kommissar Sadler, »wir brauchen deine Version der Geschichte. Können wir uns irgendwo ungestört unterhalten?«
Wir landeten schließlich im Schwesternzimmer, umgeben von Automaten, aus denen man rote Lakritzschlangen, SunChips und Kräcker mit Streichkäse ziehen konnte. Wir setzten uns um den Plastikholztisch. Ich fegte Chipskrümel von der Tischplatte, während der gute Brad uns Cola Light kaufte. Der böse Brad saß einfach nur da und sah einschüchternd aus.
Ich öffnete meine Dose und nahm einen großen Schluck. Die Cola war kälter als Gebirgswasser.
Dann stellte ich sie wieder auf dem Tisch ab, sah mich verstohlen um und flüsterte: »Hier geht es um Crystal, nicht wahr?«
Der böse Brad schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Endlich! Sie hat es kapiert.«
»Das ist ja nicht ihre Schuld«, sagte Dad. »Schließlich wollten wir sie da raushalten.«
Jetzt schaltete sich der gute Brad ein. »Wir wollen den Laden schon seit Monaten dichtmachen. Aber um ihn dichtzumachen, müssen wir ihn erst einmal finden. Und die halten sich ziemlich gut versteckt. Es gibt keine Spur, rein gar nichts. Wir wissen lediglich, dass ihr Labor irgendwo draußen in der Pampa ist.«
Eine Erinnerung blitzte in mir auf.
An jenem Tag am Flussufer, als ich mich geweigert hatte, Karen auf die andere Seite zu folgen, hatte sie energisch ihre Schultern gestrafft. Sie war bereit, weiter zu gehen als jemals zuvor. Was wäre, wenn sie nicht nur einmal hinübergegangen war? Was, wenn sie vielleicht jedes Mal, wenn sie sich unbeobachtet fühlte, dorthin verschwunden war? Wenn jemand sie dabei gesehen und nur darauf gewartet hätte, dass sie nahe genug herankam?
»Ihr glaubt also, Karen hat das Versteck gefunden«, stieß ich hervor.
Oh mein Gott
, dachte ich und biss mir auf die Lippen.
Und ich habe sie ziehen lassen. Habe sie quasi noch angestachelt. Ich bin schuld an ihrem Tod
.
Mir war, als würde mich mitten im Lauf etwas Riesiges und Dunkles überholen, schneller noch als Alberto Salazar. Diese Nacht hatte ich nur überstanden, indem ich immer einen Schritt nach dem anderen gemacht hatte: die verschlossene Tür, das Badezimmerfenster, Gretchens Arme. Doch von nun an würde mein Weg nicht mehr so klar sein.
»Das ist alles meine Schuld«, sagte Dad. »Ich wollte unbedingt nach Hoodoo ziehen. Dachte, ich könnte allem entkommen. Aber wie die beiden Kommissare dir bestätigen werden, hat es uns direkt ins Drogenmekka verschlagen. Diese Typen haben praktisch
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