Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkle Wasser

Dunkle Wasser

Titel: Dunkle Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Jane Beaufrand
Vom Netzwerk:
»Erzähl uns einfach, was du gesehen hast. Wir kriegen ja noch Gretchens Bericht, sobald sie wieder zu sich gekommen ist.«
    Ich verabscheue ihn, wie er da so oben auf der Klippe steht und alles aus sicherer Entfernung beobachtet. Also schleiche ich mich von hinten an

    »Sie waren im Badezimmer. Sie waren zu zweit. Als sie herauskamen, hat sich Gretchen total seltsam verhalten.«
    »Wer, Ronnie? Wer war mit ihr im Badezimmer?«, fragte der gute Brad.
    Von hinten sehe ich ihn in seiner Army-Jacke. Er bemerkt mich gar nicht. Mit einem kräftigen Fußtritt katapultiere ich ihn über den Rand
.
    »Keith Spady«, sagte ich.
    Und da war es, mein Herzstück. Es hatte sich zwar verändert, aber über eins war ich mir nun im Klaren: Ich brauchte keine heldenhaften Rockstars mehr.

Hey. Was machst’n?
    Koche
.
    Im Garten ist Karen eifrig damit beschäftigt, etwas zusammenzukleistern. Mein Samstagslauf liegt hinter mir, und ich bleibe stehen, um ihr zuzugucken. Bei Karen gibt es immer etwas zu sehen
.
    Es ist Herbst und es regnet. Was sonst. Den ersten Frost hatten wir noch nicht, doch er naht schon. In der Luft liegt eine schneidende Kälte
.
    Ich sehe Karen über die Schulter. Auf einem Brett drapiert sie Sandkuchen, in jeden steckt sie einen Stängel mit dicker Blüte. Sie erinnern an fette lila Zauberstäbe
.
    Wow. Tolle Deko. Mom wäre beeindruckt
.
    Danke
.
    Neben ihr welkt ein ganzer Haufen dieser zarten lila Blüten. Ich nehme mir eine und rieche daran. Doch sie riecht nach nichts
.
    Wie heißen die?
    Blaue Lupinen, sagt sie. Um diese Jahreszeit sind sie sehr selten
.
    Ach so, mein kleines, zartes Gebirgsblümchen, sage ich und stupse sie. Sie lächelt mir zu. Wir wissen beide, dass zart eine absolute Beleidigung für dieses Mädchen ist, das bis zu den Ellbogen im Matsch hängt, hier draußen im Regen hockt, weil ihr Projekt noch nicht so ist, wie sie es haben will. Sie ist kompakt und vielschichtig wie ein Donnerei
.
    Ich besehe mir wieder die Blume in meiner Hand. Wo hast du die gefunden?
    Sie antwortet mir nicht, sondern widmet sich wieder ihren Sandkuchen, formt spitze Kuppen, von denen jede mit einer hochgewachsenen Blüte dekoriert wird
.
    Karen?, frage ich. Wo hast du die gefunden?
    Sie hebt das Brett hoch und bietet mir ihre Kreationen dar. Nimm dir ’n Brownie, sagt sie
.

20
    Die Fahrt zurück nach Hoodoo war lang und dunkel. Dad sagte kein Wort. Tomás hatte sich auf der Rückbank ausgestreckt, den Arm trug er in einer Schlinge, um das Schlüsselbein ruhig zu halten. Hin und wieder regte er sich und dann stimmte Gloria sofort eines ihrer tröstlichen Kinderlieder an.
    Ich saß auf dem Beifahrersitz, sah die Bäume vorbeiziehen und dachte an Landschaften.
    An die wilde Landschaft von Tomás’ Gesicht, an das kratzige Kinn, die weichen Wangen und sanften Augen. Erinnerte mich daran, wie gut es sich angefühlt hatte, ihn zu küssen, spürte noch einmal die hauchzarten Schmetterlinge auf meiner Haut. Er war nicht nur ein guter Typ – er war eine Entdeckung.
Meine
Entdeckung. Als hätte ichnach einer langen, beschwerlichen Reise endlich den Pazifischen Ozean gefunden.
    Dann fiel mir die zerklüftete Landschaft in Gretchens Kopf ein, ihre Pläne, Grafikerin zu werden, die nun durch die Sucht zunichtegemacht worden waren. Ich hätte gerne geglaubt, dass noch etwas von der alten Gretchen übrig geblieben war, ein flüchtiger Geist ihrer alten Persönlichkeit. Doch ich vermutete, dass alles dahin war und sie wieder ganz von vorne anfangen musste.
    Und dann besann ich mich auf die finstere Landschaft draußen, die flüsterte und klagte und ihre Geheimnisse gierig verschlang.
    Schließlich dachte ich an blaue Lupinen.
    Als wir zu Hause angekommen waren und Tomás friedlich schlummerte, ging ich den Flur entlang in mein Zimmer, wo sich Esperanza und Petunia breitgemacht hatten und schliefen.
    Petunia hob den Kopf, als ich hereinkam.
»Schhh … ya gordita«
, flüsterte ich und langsam schlossen sich ihre Lider wieder. Dann schaltete ich so leise wie möglich meinen Computer ein und googelte
Lupine
.
    Karen hatte recht – es sollte sie hier eigentlich gar nicht geben. Lupinen waren Wiesenblumen und entlang des Santiam Rivers gab es nicht gerade viele Wiesen. Und außerdem hatten wir März, Februar, als Karen sie in ihre letzten Sandkuchen für mich gesteckt hatte. Lupinen blühten normalerweise nur im Mai und Juni, daraus schloss ich, dass Karen eine besonders sonnige Stelle gefunden haben musste.
    Ich starrte

Weitere Kostenlose Bücher