Dunkle Wünsche
geistesabwesend die sich in
der schmiegsamen weißen Seidenbluse scharf abzeichnenden Konturen ihres vollen
Busens. Ihre Hand griff automatisch nach dem Lineal, zögerte dann aber einen
Augenblick lang unschlüssig.
»Ihr
Herz ist nicht dabei«, sagte sie in beinahe anklagendem Ton.
»Bei
was?«
»Bei
dem Versuch, durch meine Bluse hindurchzusehen.« Sie schüttelte bedächtig den
Kopf. »Brüten Sie eine Krankheit aus, Al?«
»Einen
Schreikrampf«, sagte ich düster. »Und — nur der Ordnung halber — Sie tragen
einen weißen Spitzenbüstenhalter.«
Ihr
blonder Kopf schnellte für einen Augenblick heftig nach vorn, während sie ihre eigene
Vorderseite eingehend betrachtete; dann blickte sie finster zu mir auf. »Es ist
unmöglich; niemand kann durch diese Bluse hindurchsehen. Woher wissen Sie das
mit dem Büstenhalter?«
»Elementare
Deduktion, mein Honiglämmchen«, sagte ich. »Schwarz würde man unter einer
weißen Bluse sehen, nicht wahr?«
»Ja«,
sagte sie zweifelnd. »Aber wie steht’s mit den Spitzen?«
»Reine
Erinnerung«, sagte ich beglückt. »Sie tragen immer Spitzenunterröcke und
Spitzenbüstenhalter und Spitzen...«
Das
Lineal knallte schmerzhaft auf meine Fingerknöchel. »Al Wheeler«, sagte sie mit
erstickter Stimme, »Sie sind widerwärtig unanständig! Nur weil ich einmal...«
»Es
lebt für alle Zeiten in meiner Erinnerung fort.« Ich wich schleunigst aus ihrer
Reichweite zurück. »Rosig und blond und glühend — mit überall in den
Randgebieten verstreuter weißer Spitze.«
»Ich
verstehe nicht.« Ihre Brauen zogen sich mißtrauisch zusammen. »Aber es klingt
jedenfalls nach schmutzigen Redensarten. Scheren Sie sich hier raus, Wheeler,
bevor ich Sie mit diesem Eisenlineal totschlage.«
Ich
ging. Es gibt Zeiten, in denen Annabelle schwach wird, aber sie sind nicht sehr
häufig, und diesmal war offensichtlich nichts zu machen.
Ich
brauchte etwa eine Viertelstunde, um in die Downtown Bar zu gelangen,
eins der neueren Lokale mit Kellnerinnen in Bikinis und entsprechenden Preisen.
Eine füllige Brünette in einem Silberflitter-Bikini ging voran zu einer
Ecknische und lächelte mir breit und voller Wärme zu, als ich mich gesetzt
hatte. »Wie wär’s mit einem doppelten Spezialcocktail, Sir?«
»Nein,
danke.« Ich lächelte ebenso breit und mit ebensoviel Wärme zurück. »Im
Augenblick möchte ich lieber was zu trinken.« Es dauerte etwa zwei Sekunden,
bis sich ihre Augen wieder entwirrt hatten. »Scotch auf Eis, ein bißchen Soda«,
fügte ich hinzu.
Sie
kam kurz darauf zurück, knallte den Drink mit einem Gesichtsausdruck, den die
meisten Leute für Klapperschlangen reserviert haben, vor mir auf den Tisch und
marschierte in einer Haltung ab, als ob sie einen Ladestock verschluckt hätte. Ungefähr
zehn Minuten später, als ich meinen zweiten Scotch halb ausgetrunken hatte,
hörte ich erneut diese belegte Stimme, und zwar ganz nahe. Ich blickte auf und
bereute es sofort, aber es war zu spät; ich hatte ihn bereits gesehen. Er war
gut ein Meter fünfundneunzig groß und konnte nicht viel weniger als
zweihundertfünfzig Pfund wiegen. Sein Haar war kurz geschnitten, drahtig und
braun und lag wie eine Fußmatte auf seinem Kopf, und sein Gesicht sah aus wie
etwas, über das mehrere Male ein Zehntonnenlaster gefahren ist.
»Gewiß«,
sagte ich höflich. »Ich bin Wheeler.«
Irgendwie
schaffte er es, seinen gigantischen Leib in die Nische zu quetschen, ohne den
Tisch umzustoßen. »Ich soll Ihnen was ausrichten«, sagte er mit gräßlich krächzender
Stimme. »Jesse läßt Ihnen sagen, er hat nichts damit zu tun.«
»Jesse
Drury?« erkundigte ich mich.
»Ja,
der.«
»Ich
würde mich gern auf sein Wort verlassen«, sagte ich. »Aber Sie wissen, wie
Polypen nun mal sind — mißtrauisch.«
Er
dachte darüber nach, oder zumindest vermutete ich das, aber wer konnte schon
wissen, was hinter diesem zerstörten Gesicht vorging? »Jesse sagt, er möchte
keine Scherereien mit der Polizei haben, und er hat nichts getan. Sie war für
ihn nichts weiter als ‘ne Nacht für hundert Dollar.« Er legte die massive Faust
vor sich auf den Tisch und spreizte langsam die Finger. »Es soll ihm keiner auf
die Pelle rücken.«
»Wo
finde ich Jesse?« fragte ich.
»Sie
finden ihn gar nicht.«
»Doch!«
»Gar
nicht dran zu denken«, sagte er zuversichtlich. »Aber Jesse will Ihnen ‘nen
Gefallen tun. Sie sollen mit dem Zuhälter reden.«
»Mit
welchem Zuhälter, bitte?«
»Sie
hatte nur den
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