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Dunkle Wünsche

Dunkle Wünsche

Titel: Dunkle Wünsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carter Brown
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auseinanderstoben. Ich saß da und überlegte, wieviel Alpträume man trotz
weitgeöffneter Augen an einem einzigen Tag wohl haben konnte.
     
    Drei
Häuserblocks der Vierten Straße bilden eine Art modernen Elendsviertels; und
das Mietshaus, das ich suchte, befand sich mitten darin. Auf meiner Uhr war es
kurz nach sechs, als ich mit dem Wagen davor hielt. Es war nach wie vor heiß,
aber die beginnende Abendbrise wirbelte den Unrat auf den Gehsteigen auf. Das
Treppenhaus war eng, feucht und voller säuerlicher Gerüche, die ich nicht zu
charakterisieren wagte. Als ich im zweiten Stock angelangt war, klopfte ich an
die Tür von drei D und wartete. Da sich nichts rührte, klopfte ich erneut, und
zwar ausreichend laut, um einen Toten zum Leben zu erwecken. Eine Lebende
streckte den Kopf aus der Tür der gegenüberliegenden Wohnung und schrie:
»Ruhe!«
    »Ich
möchte zu dem Mann, der hier wohnt«, sagte ich. »Wissen Sie, ob er zu Hause
ist?«
    Die
Frau öffnete die Tür weit und trat auf den Gang heraus. Sie war eine verwelkte
Blonde um Vierzig herum, hatte Lockenwickler im Haar und trug einen
verblichenen Morgenrock, der aussah, als ob er damals, als Jitterbug noch Mode
war, bessere Zeiten gesehen hätte.
    »Er
ist ausgezogen«, sagte sie. »Vor zwei Tagen. Ziemlich schnell, und ich gehe
jede Wette ein, daß er die Miete schuldig geblieben ist.«
    »Wissen
Sie, wohin er gezogen ist?«
    »Hoffentlich
in die Hölle«, sagte sie mit bösartiger Aufrichtigkeit. »Dieser dreckige kleine
Nichtsnutz! Was wollen Sie überhaupt von ihm? Kommen Sie, um seine Miete
einzutreiben?«
    »Sie
kannten Mason recht gut, was?« fragte ich erwartungsvoll.
    »Mason?«
Sie zuckte gereizt die Schultern, und der Morgenrock klaffte vorn weit genug
auf, um einen zerknitterten schwarzen Unterrock zu enthüllen. »Was für einen
Mason? Ich rede von Johnny Ferano, diesem billigen kleinen Herumtreiber! Er ist
einfach abgehauen, ohne mir auch nur auf Wiedersehen zu sagen.«
    »Ich
suche einen Gil Mason«, sagte ich. »Einer seiner Freunde hat behauptet, er
wohne hier.«
    »Vielleicht
ist er dann eben gerade eingezogen?« Sie hüllte sich fest in ihren Morgenrock
und schien schnell jedes Interesse zu verlieren. »Ich habe keine Ahnung. Ich
bin seit zwei Tagen nicht aus meiner Wohnung hinausgekommen, weil ich mich
nicht wohlgefühlt habe, wissen Sie.«
    »Klar!«
Der Dunst billigen Weins in ihrem Atem teilte mir das Erforderliche mit. »Na
ja, dann werde ich wohl später vorbeikommen müssen.«
    Auf
ihrem Gesicht lag plötzlich ein starrer Ausdruck, der so wirkte, als sähe sie
glatt durch mich hindurch. »Was ist denn das?« flüsterte sie.
    Alle
meine Wach-Alpträume fielen erneut über mich her. »Was ist was?« murmelte ich.
    »Hier
drinnen.« Sie wies auf die geschlossene Tür von drei D. »Ich hab’ was gehört.«
    »Das
haben Sie sich nur eingebildet«, sagte ich.
    »Hören
Sie?«
    Wir
blieben etwa fünf Sekunden lang lauschend stehen, und dann hörte ich drinnen in
der Wohnung einen Laut: ein schwaches Stöhnen, das an meinen Nerven zerrte. Die
Augen der verwelkten Blonden wurden glasig.
    »Er
stirbt«, sagte sie überzeugt. »Mein Mann hat es genauso gemacht. Ganz am Ende
stöhnen sie so tief in der Kehle unten, und dann«, sie fuhr sich mit dem Finger
scharf über die eigene Kehle, »ssst.«
    Wieder
ertönte das Stöhnen, und diesmal klang es ein wenig stärker als das erstemal.
Ich wich über den Flur zurück und warf mich mit Wucht gegen die Tür. Etwas
mußte nachgeben, und es war meine Schulter — die Tür blieb zu. Die verwelkte
Blonde warf mir einen Blick zu, der deutlich die Frage enthielt, zu welcher
Sorte von Verrückten ich wohl gehörte, griff dann nach dem Türknauf und drehte
daran. Die Tür schwang langsam auf, und die Frau seufzte tief und geduldig auf.
»Das sollte man immer zuerst probieren, Herzchen.«
    »Sie
haben recht.« Ich hörte auf, meine gequetschte Schulter zu massieren, und
begann, mich für das Panorama zu interessieren, das sich vor meinen Augen
ausbreitete, als die Tür sich noch weiter öffnete. Es handelte sich um eine
Einzimmerwohnung, in der ein aufgeschlagenes Klappbett mit zerknüllten
Leintüchern und Decken stand. Ein mottenzerfressener kleiner Teppich bedeckte
einen Teil des schmutzigen Linoleumbodens, und mitten auf diesem Teppich lag
ein Mann, der eben im Begriff war, sich stöhnend auf die Knie aufzurichten. Im
Augenblick sah er keineswegs wie ein altmodischer Romeo aus, so wie ihm

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