Dunkler Engel
übergelaufen. Die Dämonen hatten sie ausgewählt, weil sie ganz offensichtlich einen schwachen Willen hatte. Was ihn betraf, konnte sie ganz wörtlich genommen ruhig »zum Teufel gehen«.
Er sah sie sich genau an, als sie da so im Eingangsbereich herumstand, und er bemerkte etwas an ihr. Sie war anders als all die anderen Menschen, die er während seines kurzen Aufenthalts auf der Erde gesehen hatte. Er fragte sich, wodurch genau sie sich von den anderen unterschied. Sie war eine der bezauberndsten Frauen, die er jemals gesehen hatte, aber das war es nicht. Er verglich sie im Geiste mit den anderen Menschen, mit denen er heute zu tun gehabt hatte, mit dem verdrießlichen Mr. Fraym zum Beispiel. Und dann wusste er es.
Rachel Duncan war allein.
Es war nicht die Tatsache, dass sie die einzige Person in dieser Lobby war. Sie war fürchterlich, schrecklich allein. Es schwebte kein liebevoller Engel über ihr. Es gab keinen Engel, der sie führte. Sogar Mr. Fraym hatte einen Schutzengel, einen Engel, der ihm ins Gewissen redete, wenn er im Begriff war, einen Fehler zu machen; einen Engel, der auf ihn aufpasste und ihn daran erinnerte, nach links und rechts zu schauen, bevor er die Straße überquerte, und der ihm dringend riet, mit dem Rauchen aufzuhören.
Rachel Duncan hatte keinen Schutzengel mehr, und Derek erinnerte sich daran, dass William gesagt hatte, dass ihr Schutzengel vermisst würde und vielleicht sogar von den
Erzfeinden ausgelöscht worden war. Sie war alleine und verletzlich, und was das Schlimmste war, sie war sich dessen nicht bewusst. Sie konnte die Gefahr, in der sie sich befand, nicht einschätzen.
Derek war gerade zu dieser alarmierenden Einsicht gekommen, als Rachel etwas von Tür öffnen zu ihm sagte.
Seine Gedanken und ihr offener Blick hatten ihn so durcheinandergebracht, dass er sich viel zu spät wieder an seine Pflichten erinnerte. Er öffnete ihr die Tür und hielt sie auf, während sie mit einem bösen Blick an ihm vorbeistolzierte. Ihr konnte er nicht die Schuld geben. Er hatte sich unhöflich verhalten. Er wollte sich bei ihr entschuldigen, aber sie war gegangen, bevor er auch nur ein Wort sagen konnte.
Als sie an ihm vorbeiging, konnte er ihr Parfüm riechen. Der Duft war berauschend, süß und brachte lebendige Erinnerungen an Palastgärten und exotische Länder mit sich. Was war das?
Gardenien. Derek hatte den Geruch von Gardenien schon seit vielen Jahren nicht mehr wahrgenommen. Er hatte den Duft noch in seiner Nase, und das Bild von ihr, allein und in Gefahr, schwirrte in seinem Kopf herum.
»Mm, hm.« Ein Mann räusperte sich.
Derek schaute auf und sah einen Mann, der in der Lobby stand und ihn anstarrte. Der Mann hatte zwei große Koffer in den Händen. Er kam herüber und ließ sie genau vor Derek fallen.
»Stehen Sie hier nicht so blöd herum. Bringen Sie die hier in mein Auto«, bellte er verärgert.
Derek tat, wie ihm befohlen. Er mochte das nicht, aber er dachte auch nicht mehr darüber nach, ins Fegefeuer zurückzukehren. Er konnte den Duft der Gardenien einfach nicht vergessen.
Rachel Duncan brauchte niemanden, der sie bespitzelte. Sie war eine Frau, allein und verletzlich, zerbrechlich und schwach.
»Sie braucht jemanden, der sie beschützt«, erzählte Derek William, als sie nach seinem Feierabend miteinander telefonierten.
»Das ist nicht dein Job, Derek«, antwortete William und seufzte.
»Vielleicht braucht sie Schutz. Dein Job ist es herauszufinden, vor wem. Und du wirst ihr Vertrauen ganz sicher nicht gewinnen, indem du dich ihr gegenüber ungehobelt benimmst!«
»Das wollte ich ja auch gar nicht«, brummte Derek. »Ich war total überrascht.«
»Du musst dich entschuldigen«, sagte William ernst, Derek war für einen Augenblick still, dann sagte er: »Du hast recht, das mache ich.«
»Du stimmst mir zu ?« William war erstaunt. Er hatte Widerspruch erwartet.
»Ich habe mich vor dieser Dame nicht wie ein Gentleman benommen. Ich werde sie um Verzeihung bitten.«
»Aber bitte nicht auf die Knie fallen«, sagte William besorgt.
»Ich weiß«, erwiderte Derek lächelnd. »Ich befinde mich nicht mehr im vierzehnten Jahrhundert.«
Und als er dieses wundersame Gerät mit Namen Telefon auflegte, dachte er, dass alles, was Rachel Duncan brauchte, ein wahrer Ritter war.
DREI
Samstagmorgen. Rachel wurde von den Stimmen aus ihrem Radio geweckt. Sie hatte den Wecker auf sieben Uhr gestellt, und sie drückte nie auf die Schlummertaste. Die Schlummertaste
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