Dunkler Engel
bei dem Abendessen in Rom. Gute-Nacht-Küsse an der Tür. Sie war nicht prüde. Und es ging auch nicht darum, bis zur Hochzeit zu warten. Sie war einfach vorsichtig.
Aber nicht nur das. Irgendetwas fehlte ihr auch.
»Der Frühling ist nach Chicago gekommen!«, ertönte es aus dem Radio. »Die Höchsttemperaturen liegen heute bei knapp zwanzig Grad, und das Regenrisiko beträgt am Nachmittag vierzig Prozent.«
»Was liege ich hier eigentlich herum und denke an Männer?«, fragte Rachel sich selber. »Ich sollte über Geld nachdenken !«
Sie machte ihr Bett, während sie noch darin lag. Das war ein kleiner Trick, den sie aus der Cosmo hatte. Man musste nur das Betttuch und die Daunendecke bis zum Kopfkissen hochziehen und dann vorsichtig darunter hervorgleiten. Sie war keine große Hausfrau und hätte sich auch nicht mit dem Thema Bettenmachen beschäftigt, wenn sie es nicht hassen würde, abends unter kalte Betttücher zu kriechen. Schlimm genug, dass sie alleine ins Bett krabbeln musste.
Rachel nutzte die Ruhe dieses Samstagmorgens, an dem niemand sich rührte und ihr Telefon nicht schellte, um ihre Tabellen der letzten Woche durchzugehen. Es war wichtig, den Blick nicht nur auf das große Ganze zu richten, sondern auch auf die Tagesgeschäfte an der Börse. Sie trug die Kurse für die Woche ein und studierte die Grafik, um zu sehen, ob sich ein Trend abzeichnete. Ein Trend konnte alles sein - ein ständiges Auf und Ab, ein leichter Sinkflug oder ein schneller Aufwärtsruck. Normalerweise fand sie immer irgendeinen Hinweis, der ihr sagte, ob es auf dem Markt eine Bewegung in die eine oder andere Richtung gab.
Rachel druckte ihr Diagramm aus und hängte es an eine Korkpinnwand, die eine der Wände ihrer Wohnung schmückte. Die Pinnwand sah richtig schäbig aus und passte überhaupt nicht zu ihrer Einrichtung. Eines Tages, wenn sie ihre Million gemacht hätte, würde sie die Pinnwand durch einen Picasso ersetzen, Sie stand so weit von ihrem Diagramm entfernt, wie sie konnte, und schielte auf das Papier, um zu sehen, ob sich irgendein Trend erkennen ließ, als das Telefon schellte. Die Festnetzleitung, nicht ihr Handy. Das erschreckte sie. Sie kannte niemanden, der an einem Samstagmorgen so früh auf war. Noch nicht einmal ihre Mutter.
Dieser Gedanke machte sie nervös. Vielleicht war auf der Kreuzfahrt etwas passiert. Es geschah ja immer mal wieder, dass Leute von Kreuzfahrtschiffen verschwanden. Vielleicht hatte Dad einen Herzinfarkt. Sie schaute auf die Nummer im Display und seufzte halb erleichtert und halb zögernd. Es war Zanus. Auch nach drei Monaten, die sie jetzt miteinander ausgingen, machte er sie immer noch nervös, so als würde sie jedes Mal erwarten, dass er ihr sagen würde, ihre wunderbare Zeit wäre ein großer Fehler gewesen.
Oder so etwas in der Art. Oh, und übrigens, er würde seine Millionen aus der Firma abziehen und sie verklagen. Aber vielleicht würde sich das alles ändern, wenn sie mit ihm schlafen würde. Sie nahm das Telefon.
»Hallo?«
»Rachel?«, sagte er mit seiner tiefen, nachhallenden Stimme. »Ich bin's, Zanus. Entschuldige, dass ich dich so früh störe, aber es gibt etwas Wichtiges, über das ich mit dir reden möchte.«
»Okay«, sagte Rachel, das Herz rutschte ihr in die Hose. Gute Unterhaltungen
beginnen
niemals
auf
diese
Art.
Trennungsgespräche fangen so an.
»Wir sind jetzt schon seit ein paar Monaten zusammen, und du warst wundervoll, sowohl im Job als auch privat. Ich möchte dich heute Abend zu einem ganz besonderen Abendessen ausführen. Es tut mir leid, dass ich nicht früher angerufen habe, aber ich habe gerade erst erfahren, dass ich dieses Wochenende nicht wie geplant nach Kairo fliegen muss. Das Meeting dort ist verschoben worden.
Ich weiß, dass du möglicherweise schon andere Pläne hast...«
Wie süß von ihm, so zu lügen. Er wusste ganz genau, dass sie sich nicht mit jemand anderem traf.
»... aber ich dachte, ich versuche es einfach. Hast du heute Abend Zeit?«
Rachel war alarmiert. Zanus hatte nicht den Eindruck gemacht, dass er wegen irgendetwas sentimental werden würde. Dann wurde ihr klar, worum es gehen würde. Sie hatten jetzt eine Menge Zeit miteinander verbracht, und bis jetzt hatten sie die Aussprache noch nicht gehabt.
»Oh, da muss ich in meinen Kalender schauen«, sagte Rachel.
Sie schloss die Augen und ließ sich auf ihren Stuhl sinken. Die Aussprache, in der sich entscheidet, ob du ausgewählt bist, in der über
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