Dunkler Engel
Restaurant gehen. Jeans, ein passendes langärmliges T-Shirt und ihre Flipflops. Die schrien eigentlich nach Sommer, aber Rachel konnte nicht bis zum Sommer warten, um sie zu tragen.
Heute war es warm genug, und außerdem würde Derek die Wahl ihrer Schuhe diesmal vielleicht nicht blöd finden. Sie musste nur daran denken, dass sie nicht erwähnen durfte, was sie dafür ausgegeben hatte.
Rachel ging zum Park. Sie hatte für alle Fälle ihre Jacke mitgenommen. Derek wartete schon auf sie. Er hielt einen vollgepackten, schweren Rucksack in der Hand.
»Hallo«, begrüßte Rachel ihn. »Was haben Sie denn da in Ihrem Rucksack? Sie haben Jojo doch wohl nicht entführt, oder?«
»Nein«, sagte Derek lachend. »Mit der Wurst hat es übrigens funktioniert. Wir haben es in Rekordzeit geschafft. Unter zwei Stunden. Die Leberwurst hat mich auf eine Idee gebracht. Ich dachte, wir könnten vielleicht ein Picknick machen.«
»Ein Picknick hört sich wundervoll an«, sagte Rachel. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal gepicknickt hatte.
Sie machten sich auf den Weg, wobei sie kameradschaftlich, aber nicht zu nahe nebeneinander hergingen. Es war völlig klar, dass sie Freunde und kein Pärchen waren. Der Park war ziemlich voll. Das Wetter war schön, und die Menschen hielten sich im Freien auf, um es zu genießen. Einige unternehmungslustige junge Leute hatten ein Volleyball netz gespannt. Andere ließen Drachen steigen oder spielten Frisbee. Kinder und Hunde rannten überall herum.
Derek suchte ein lauschiges Plätzchen neben einem Baum aus, der gerade die ersten Knospen bekam. Er breitete eine kleine Decke für sie aus, von der Rachel sich fragte, ob er sie Jojo heimlich gestohlen hatte. Er setzte sich neben sie ins Gras, ohne sich über mögliche Grasflecken auf seiner Hose Gedanken zu machen.
Dann öffnete er seinen Rucksack und holte kleine Päckchen heraus, die in Wachspapier und Alufolie eingewickelt waren. Es gab Brie, griechische Oliven, Cracker, Brot und Schinken. Rachels Augen weiteten sich beim Anblick von so viel Essen. Er hätte eine ganze Armee satt bekommen. Und als Krönung hatte er auch noch gekühlten Weißwein im Tetrapack und zwei Plastikbecher mitgebracht.
Rachel fand das alles sehr charmant und reizend. Unwillkürlich dachte sie darüber nach, wie Zanus ein Picknick gestaltet hätte.
Erstens hätte er sie wahrscheinlich gar nicht dazu eingeladen - er hätte sich ja seine Hose ruinieren können. Zweitens hätte er, wenn er es doch getan hätte, dafür gesorgt, dass sie an einem Tisch mit weißem Leinen sitzen würden. Außerdem gäbe es Champagner, Kaviar, Steaks und einen Kellner zum Einschenken, es würde alles sehr korrekt zugehen und nur halb so viel Spaß machen.
Sie versuchte sich vorzustellen, wie Zanus Tetrapack-Weißwein aus einem Plastikbecher trinken würde. Allein der Gedanke daran ließ sie kichern.
»Also, Derek, was machen Sie denn normalerweise in Ihrer Freizeit?«, fragte sie ihn.
»Ich lese Bücher. Ich gehe in den Park. Sonntags gehe ich ins Museum oder in die Bücherei.«
Rachel war ein Buch in seinem Rucksack aufgefallen. »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich ein bisschen neugierig bin?«, fragte sie und griff danach. Er schüttelte den Kopf, und sie zog es heraus. Sie hatte erwartet, dass er Autoren wie Tom Clancy las. Stattdessen handelte es sich bei dem Buch um einen dicken Wälzer über die Tempelritter.
»Wow, das sieht heftig aus«, sagte Rachel. »Lernen Sie für ein Examen?« Das würde auch erklären, warum er als Portier arbeitete.
»Nein«, sagte Derek lächelnd. »Ich lese das einfach nur so. Ich liebe Geschichte und besonders die Geschichte des Mittelalters.«
»Und warum gerade diese Periode?«
Derek zögerte und errötete leicht, als würde es ihm schwer fallen, diese Frage zu beantworten. »Es ist... ähm ... na gut ich schätze, man könnte sagen ... das liegt an den Gemälden aus dieser Zeit. Wenn ich sie mir anschaue, stelle ich mir immer vor, wie es wohl gewesen sein muss, in dieser Zeit gelebt zu haben.«
Rachel war erstaunt und schämte sich. Sie war ein Snob, genau wie er es ihr gestern Abend vorgeworfen hatte. Es wäre ihr niemals in den Sinn gekommen, dass ein Portier mittelalterliche Geschichte studieren könnte und seine Sonntage im Chicago Art Institute oder im Field Museum verbringen wurde.
»Ich weiß nicht viel über Geschichte«, gab sie zu. »Die Gemälde drücken einen Lebensstil und eine andere Art des Denkens
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