Dunkler Engel
aus.
Männer waren damals ehrenwert. Wenn ein Mann etwas versprochen hatte, wäre er eher gestorben, als dass er dieses Versprechen gebrochen hätte.« Er sah Rachel eindringlich an, während er sprach. »Und wenn ein Mann eine Frau ehrlich geliebt hatte, hätte er alles getan, um Schaden von ihr abzuwenden.«
Rachel lachte verlegen und versuchte so dreinzuschauen, als hätte sie nicht ganz verstanden, worauf er anspielte. Das war schwierig, denn ihr Herz schlug ihr bis zum Hals.
»Heute sind die Männer anders«, fügte Derek hinzu, und sein Blick verfinsterte sich. Er sah sie an, und sie wusste, dass er über Zanus sprach. Sie war leicht verärgert. »Ich glaube nicht, dass alle Männer unserer Epoche unehrenhaft sind. Einige wissen schon, wie man sich als Gentleman benimmt, und sie folgen einer Frau nicht auf die Damentoilette«, sagte sie schelmisch.
Derek sah sie bekümmert an. Als er ihr Grinsen sah, wurde ihm klar, dass sie scherzte. Er zuckte zusammen und presste die Hand auf sein Herz. »Sie haben mich mitten ins Herz getroffen, meine Dame«, sagte er. »Sie haben mich auf dem Feld besiegt. Sie haben das Turnier gewonnen.« Er reichte ihr feierlich eine Weintraube.
Sie nahm sie genauso feierlich und steckte sie sich schnell in den Mund. Sie war plötzlich von dem verrückten Verlangen gepackt, ihn zu küssen. Entsetzt über sich selbst, widmete sie sich wieder dem Buch.
»Und, gefällt Ihnen der Autor?«, fragte sie schnell. »Beherrscht er sein Thema?«
Derek zuckte mit den Achseln. »Ziemlich gut. Natürlich war er nicht dabei. Er kann ja nicht wissen, wie es genau war. Er versteht gewisse Dinge nicht ...« Er schwieg in Gedanken versunken.
»Das hört sich ja fast so an, als wenn Sie dabei gewesen wären«, sagte sie scherzhaft.
Derek sah sie an und lächelte. »Ich glaube, es hätte mir gefallen, damals gelebt zu haben. Das Leben war um vieles einfacher. Brutaler und härter, aber auch einfacher. Denken Sie zum Beispiel an die höfische Liebe.«
»Was für eine Liebe?«
»Höfische Liebe. Die Männer aus dieser Zeit umwarben die Frauen.
Da gab es so etwas nicht, dass man ein paar Mal das Abendessen bezahlte und dann zusammen im Bett landete. Ritter schrieben ihren Damen Gedichte. Sie beteten sie aus der Ferne an. Sie sangen ihnen Lieder und gingen auf Feldzüge, um ihre Liebe zu beweisen. Und manchmal war ein kleines Lächeln, ein süßer Blick, eine Gefälligkeit auf einem ritterlichen Turnier, alles, was sie zurückbekamen.«
»Nicht mal einen Kuss?«, fragte Rachel.
»Nicht einmal das. Oft waren die Frauen auch mit jemand anderem verheiratet. Ein treuer Ritter hätte niemals den Namen der Frau besudelt, die er liebte. Er hätte im Stillen gelitten, und manchmal hätte er ihr seine Liebe nicht einmal gestanden. Und wenn sie ihn zufällig auch liebte, konnte sie es nicht wagen, ihm das zu erzählen.
Damals gab es so etwas wie schnelle Scheidungen noch nicht. Die zwei liebten sich aus der Ferne. Höfische Romanzen nahmen selten ein glückliches Ende.«
»Das muss für die Frauen aber ziemlich hart gewesen sein. Sie hatten nicht die Möglichkeit, für den Mann, den sie liebten, in den Krieg zu ziehen. Was war mit Heirat?«
»Hochzeit und Liebe schlossen sich damals gegenseitig aus.
Eheschließungen wurden normalerweise von den Familien arrangiert, und zwar entweder aus geschäftlichen oder aus politischen Gründen. Manchmal kam es vor, dass sich die Braut und der Bräutigam an ihrem Hochzeitstag zum ersten Mal begegneten.
Wenn das Paar Glück hatte, dann lernte es im Laufe der Zeit, sich zu lieben. Und wenn nicht, dann litten sie still vor sich hin. Wenn ein Mann sich in eine verheiratete Frau verliebte, dann war er ganz einfach ein Opfer seiner Leidenschaft.«
»Aber er behielt es für sich, oder?«
»Oh ja«, sagte Derek. »Das war der angenehmste Teil - die Heimlichkeit. Die Gefahr.« Er lächelte ironisch. »In einigen Fällen endete die Romanze genau in dem Moment, in dem die zwei tatsächlich einmal zusammenkamen. Sie fand womöglich heraus, dass er ein Idiot war, der jemand anderen dafür bezahlt hatte, ihr Gedichte zu schreiben, und er bemerkte, dass sie nach Knoblauch roch.«
Rachel lachte. »Also galt es als nobel, diskret zu sein?«
»Ein Mann durfte sich nicht mit einer Eroberung brüsten, denn damit hätte er sie herabgesetzt. Er wurde durch die Liebe geadelt, und genauso war es bei ihr. Ihre Liebe füreinander machte bessere Menschen aus ihnen.« Er wendete seinen
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