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Dunkler Grund

Dunkler Grund

Titel: Dunkler Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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waren inzwischen in den ersten Stock hinaufgegangen und blieben jetzt vor einer geschlossenen Tür stehen. Oonagh klopfte kurz, öffnete dann die Tür und trat ein. Es war ein riesiger Unterschied zu dem blauen Zimmer unten. Warme Gelb und Bronzetöne herrschten vor, als wäre das Zimmer in Sonnenlicht getaucht, und dabei war der Himmel vor den geblümten Vorhängen von bedrohlichem Grau. An den Wänden hingen kleine Landschaftsbilder in vergoldeten Rahmen und eine Wandlampe mit goldgelbem Lampenschirm, aber Hester hatte keine Zeit, auf so etwas zu achten. Ihre Aufmerksamkeit wurde von der Frau in Anspruch genommen, die ihnen gegenüber in einem der drei mächtigen, mit geblümtem Stoff bezogenen Ohrensesseln saß. Sie wirkte groß, vielleicht größer noch als Oonagh, und sie saß kerzengerade mit hoch erhobenem Kopf.
    Ihr Haar war fast weiß, das längliche Gesicht spiegelte auf faszinierende Weise Intelligenz und Temperament wider. Es war kein besonders schönes Gesicht, selbst in ihrer Jugend dürfte sie keine Schönheit gewesen sein – die Nase war zu lang und das Kinn viel zu kurz –, aber ihr Gesichtsausdruck ließ solche Überlegungen müßig erscheinen.
    »Sie müssen Miss Latterly sein«, sagte sie mit fester, klarer Stimme, und noch bevor Oonagh die Besucherin vorstellen konnte, fuhr sie fort: »Ich bin Mary Farraline. Bitte treten Sie näher und setzen Sie sich. Sie wollen mich also nach London begleiten und dafür sorgen, daß ich mich so benehme, wie meine Familie es wünscht.«
    Oonaghs Gesicht verfinsterte sich kurz. »Mutter, wir sind doch nur um dein Wohlergehen besorgt«, sagte sie schnell. »Du vergißt eben manchmal, deine Arznei zu nehmen…«
    »Unsinn!« tat Mary den Einwand ab. »Ich vergesse es nicht. Ich brauche sie nur nicht immer!« Sie blickte Hester lächelnd an. »Meine Familie macht einen großen Zirkus um mich«, erklärte sie gutgelaunt. »Leider neigen die meisten Menschen zu dem Glauben, daß zusammen mit den Körperkräften auch der Verstand schwindet!«
    Geduldig und verschwörerisch blickte Oonagh zu Hester hinüber.
    »Ich bin sicher, daß Sie mich eigentlich nicht benötigen«, sagte Hester und erwiderte das Lächeln. »Und doch hoffe ich, daß ich Ihnen die Reise wenigstens ein wenig erleichtern kann, als Mädchen für alles sozusagen, damit es Ihnen an nichts fehlt.«
    Oonagh entspannte sich etwas, sie ließ die Schultern fallen, als hätte sie die ganze Zeit über unbewußt stillgestanden.
    »Dafür dürfte ich wohl kaum eine von Florence Nightingales Schwestern brauchen.« Mary schüttelte den Kopf. »Aber ich nehme an, daß Sie eine wesentlich angenehmere Begleiterin sein werden als die meisten anderen. Oonagh sagt, daß Sie auf der Krim waren. Stimmt das?«
    »Ja, Mrs. Farraline.«
    »So setzen Sie sich doch. Sie müssen nicht wie ein Hausmädchen stehenbleiben.«
    Sie deutete auf den Sessel ihr gegenüber und redete weiter, während Hester der Aufforderung nachkam. »Sie sind also als Schwester mit den Soldaten hinausgezogen. Warum?«
    Hester war zu überrascht, um sofort antworten zu können. Es war eine Frage, die ihr niemand mehr gestellt hatte, seit ihr Bruder von ihr wissen wollte, warum sie sich auf ein solch gefährliches und ungebührliches Abenteuer einließ. Das war allerdings noch vor der Zeit Florence Nightingales gewesen, die beinahe etwas Ehrbares daraus gemacht hatte. Jetzt, nach achtzehn Monaten Frieden, genoß diese Frau nach der Königin noch immer das meiste Ansehen und die größte Bewunderung im Land.
    »Kommen Sie«, sagte Mary amüsiert. »Sie müssen doch einen Grund gehabt haben! Eine junge Dame packt nicht einfach ihre Koffer, verläßt Familie und Freunde, um in ein fremdes Land zu reisen – noch dazu in ein solch entsetzliches –, ohne einen zwingenden Grund dafür zu haben.«
    »Mutter, es könnte doch ein sehr persönlicher Grund gewesen sein«, wandte Oonagh ein.
    Hester lachte. »O nein!« antwortete sie beiden. »Es war keine Liebesaffäre, und es hat mich auch keiner sitzengelassen. Ich wollte einfach etwas Nützlicheres tun, als zu Hause herumzusitzen und zu nähen oder zu malen. Auf beides verstehe ich mich nicht besonders. Und mein jüngerer Bruder, der dort unten in der Armee diente, hatte mir von den entsetzlichen Verhältnissen berichtet. Ich… ich glaube, es entsprach meiner Natur.«
    »Das habe ich mir gedacht.« Mary nickte sachte. »Es gibt nicht viel, wonach wir Frauen streben können. Die meisten sitzen zu Hause herum

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