Dunkler Rausch der Sinne
Gedanken? Wie sollte er? Sie konnte ihn
unmöglich beschuldigen. »Nein, natürlich nicht.«
Sie beobachtete, wie er sich wieder zum Bildschirm umdrehte. Seine
Beschäftigung schien ihn sehr in Anspruch zu nehmen, obwohl sie keine Ahnung
hatte, was er da machte. Einmal bemerkte sie, dass er eine E-Mail von Gabriel,
seinem Zwillingsbruder, bekam. Zwei von seiner Sorte auf dieser Welt! Der
Gedanke war erschreckend.
Sie wandte sich wieder ihrer Zeitungslektüre zu. Auf der zweiten Seite
stand ein kurzer Artikel über ein Auto, das über eine Klippe gefahren war. Der
Fahrer hatte nicht überlebt. Jaxon versteifte sich, als sie den Namen las. Das
war zu viel des Zufalls. »Lucian.«
Sie hatte sofort seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Auch das liebte sie
an ihm, das Gefühl, dass alles, was sie sagte und tat, für ihn von größter
Bedeutung wäre.
So ist es. Seine Stimme raunte in ihrem Denken, ein Laut, der
wie eine Liebkosung über ihr Inneres strich, bis sie beide Arme schützend um
ihren Bauch legen musste, in dem auf einmal Schmetterlinge zu flattern
schienen.
Sie warf ihm ihren einschüchterndsten Blick zu. »Verzieh dich aus
meinem Kopf, du Komiker. Ich bin die Einzige, die meine Gedanken lesen darf.«
Sie runzelte die Stirn. »Könnt ihr eigentlich alle die Gedanken anderer Leute
lesen?«
Er zuckte mit den Schultern, ein leichtes Heben seiner Muskeln, bei
dem die Schmetterlinge in ihrem Bauch noch wilder auf und ab flatterten. »Ja
und nein. Es ist nicht ganz dasselbe wie bei Lebensgefährten. Es gibt einen
Standardweg der Kommunikation für unser Volk und privatere Formen, wenn ein
Blutaustausch stattgefunden hat. Ich kann Gabriels Gedanken lesen und habe es
immer gekonnt, aber wer würde das jetzt noch wollen? Er denkt nur noch an
Francesca. Nun ja, an Francesca und die Mädchen . Skyler ist ihr Mündel, ein
junges Mädchen, das früher übel missbraucht worden ist. Sie ist ein Mensch,
aber mit übernatürlichen Fähigkeiten. Und sie haben eine kleine Tochter, die
noch nicht ganz ein Jahr alt ist. Gabriel hat gute Gründe, sie zu behüten, aber
trotzdem, er hat sich in einen alten Umstandskrämer verwandelt.«
Jaxon brach in Gelächter aus. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass
jemand, der so aussieht wie du, ein alter Umstandskrämer wird.«
»Es ist mir ein Rätsel, wie Francesca ihn aushält.« Lucian genoss es,
dass er tatsächlich Zuneigung zu seinem Bruder empfand, nicht die Erinnerung
an Zuneigung oder den Wunsch, sie zu empfinden, sondern ein wirklich
vorhandenes, starkes Gefühl. Das hatte Jaxon bewirkt, seine Jaxon. Sein
Wunder. Sein Blick ruhte besitzergreifend auf ihr. Sie hatte seine ganze Welt
auf den Kopf gestellt.
Alles war anders. Jedes Mal, wenn er sie ansah, schmolz sein Herz und er
fühlte sich innerlich weich und warm. Er hätte sie bis in alle Ewigkeit
anschauen können, ohne dessen jemals müde zu werden. Sie hatte ein Grübchen,
das wie aus dem Nichts auftauchte und dann mit ihrem Lächeln verschmolz. Ihre
Augen tanzten vor Lachen, wenn sie ihn aufzog. Und das tat sie sehr gern.
Allein schon, dass jemand es wagte, so etwas zu tun, war ein Wunder. Jaxon bot
ihm bei jeder sich bietenden Gelegenheit Paroli, ohne sich etwas dabei zu
denken. Er liebte die Art, wie sie sich bewegte. Sie war klein, aber perfekt
proportioniert. Sie war ruhig und anmutig und sehr weiblich, obwohl sie sich
das Image der abgebrühten Frau zugelegt hatte. Alles an ihr brachte ihn zum
Lächeln - alles, vom Scheitel bis zur Sohle. Vor allem aber ihr kecker, kleiner
Mund. Er liebte ihren Mund. Jedes Mal, wenn er sie ansah, wurde sein Körper
hart und fordernd. Auch das genoss er, jenen heißen Hunger, den ein einziger
Blick auf sie hervorrufen konnte.
Eine zusammengerollte Zeitung flog in seine Richtung und er fing sie fast
geistesabwesend in der Luft ab.
»Hörst du mir eigentlich zu? Ich habe mir gerade gedacht, wie toll es
ist, dass du praktisch an meinen Lippen hängst, und jetzt sitzt du da wie ein
Klotz und stierst ins Leere. Wo bist du?«, fragte Jaxon.
»Du
hast nichts gesagt.«
»Doch, hab ich wohl.« Sie fand nichts dabei, eine kleine Lüge
auszusprechen, um zu beweisen, dass er nicht zuhörte. Empört starrte sie ihn
an.
Er hatte ein Stück von ihr entfernt am Computer gesessen, aber jetzt
stand er plötzlich vor ihr wie ein Racheengel. »Du hast kein einziges Wort
gesagt«, verkündete er. Er wirkte belustigt und sehr nachsichtig und sah wie
eine Raubkatze aus, die sich träge streckt. Und er
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