Dunkler Rausch der Sinne
Beschaffenheit zu überprüfen. »Wie
tief unter der Erde sind wir?«
Lucian zuckte beiläufig die Achseln, aber an seinen Augen war zu
erkennen, dass er plötzlich auf der Hut war. »Hast du ein Problem damit, unter
der Erde zu sein ?« Er war ein Schatten in ihrem Geist und wusste, dass sie in
dieser Hinsicht keine Angst hatte. Es widerstrebte ihr, zu Bett zu gehen, weil
sie Angst davor hatte einzuschlafen, wieder aufzuwachen und sich dann der
Wahrheit stellen zu müssen.
Sie spähte verstohlen zu ihm und schien ein wenig beruhigter, als sie
sah, dass er seine Blöße bedeckt hatte. Ihr Verhalten war ihr selbst
unerklärlich. Warum fühlte sie sich so stark zu Lucian hingezogen ? Es sah ihr
gar nicht ähnlich. Er hatte ihr gegenüber kein Hehl daraus gemacht, wer und was
er war, und trotzdem hatte sie alles hingenommen, was er gesagt und getan
hatte.
»Du bist die Gefährtin meines Lebens, Jaxon. Du bist die andere Hälfte
meiner Seele. Dein Körper und dein Geist haben mich erkannt. Dein Herz und
deine Seele rufen nach mir. Das entspricht der Natur unseres Volkes.«
»Ich bin keine Karpatianerin.« Sie sagte es abwehrend und legte eine
Hand schützend an ihre Kehle. »Wie könnte das möglich sein?«
»Es ist mir ebenso ein Rätsel wie dir. Alles, was ich weiß, ist, dass
manche Menschenfrauen mit übernatürlichen Kräften wahre Gefährtinnen unserer
männlichen Wesen sind.« Er senkte bewusst die Stimme, ließ sie sanft und
beruhigend klingen. »Wie es scheint, ist es tatsächlich so.« Wieder tauchte er
völlig in ihren Geist ein, verlangsamte die Tätigkeit von Jaxons Herz und
Lungen und ließ sie die Kraft finden, zum Bett zu gehen und sich neben ihn zu
legen.
Lucian legte seine Arme fest um sie und zog ihre zarte Gestalt an
sich. Seine Berührung beschwichtigte das Grauen, das sie befallen hatte, und
sie entspannte sich sofort. Doch fühlte sie sich seelisch und körperlich
zerschlagen. Sie hatte so viele Fragen, wollte sie aber nicht stellen, weil sie
Angst davor hatte, wie sie auf die Antworten reagieren würde.
»Ich möchte einfach nur schlafen, Lucian«, sagte sie und schmiegte ihr
Gesicht an seine Schulter. »Können wir nicht einfach schlafen?«
Er fühlte, wie sie den Atem anhielt. Sie wollte nicht schlafen, sie
wollte weglaufen. Er hauchte einen Kuss auf ihren Scheitel, während seine
Finger zärtlich durch ihr Haar fuhren. »Schlaf, mein Engel. Bei mir bist du
sicher.« Er nahm ihr jede Entscheidung ab, indem er sie in einen tiefen Schlaf
sinken ließ, so tief, dass sie keine Chance hatte, sich seinem Befehl zu widersetzen.
Sie würden in dieser Nacht nicht in der Kammer, nicht in diesem Bett
schlafen. Jaxons Körper brauchte Erneuerung, brauchte die Genesung, die nur das
Erdreich einem wahren Karpatianer geben konnte. Lucian hatte nicht die Absicht,
ihr diesen speziellen Aspekt ihrer Existenz vor Augen zu führen. Er war ihr
Gefährte, und als solcher konnte er nicht anders, als für ihr Wohlbefinden und
ihr Glück zu sorgen. Aber er wollte ihr die näheren Details ersparen, da er es
für unnötig hielt, dass sie es zu einem so frühen Zeitpunkt erfuhr.
Er hob ihren leichten Körper auf und konzentrierte sich auf die Wand zu
ihrer Linken. Die Wand glitt beiseite und gab den Zugang zu einem engen, in den
Stein gehauenen Gang frei, der tiefer in das Herz der Erde führte. Diesem Weg
folgte Lucian, bis er zu dem Bett aus schwerer, dunkler Erde kam, das er in den
Felsen vorbereitet hatte. Mit einer Handbewegung öffnete er es. Dann legte er
sich hinein, wobei er Jaxons schlanke Gestalt an sich zog. Da alle
Sicherheitsvorkehrungen getroffen waren und die Wölfe frei herumliefen,
sehloss er sämtliche Türen, sodass sein unterirdisches Versteck vor jedem
Eindringling gefeit war. Sorgsam schützte er jede Tür, den Gang und den Raum
über ihrem Bett in den Felsen, bevor er Jaxon in den tieferen Schlaf seines
Volkes fallen ließ, indem er ihr Herz und ihre Lungen stilllegte und sie
regungslos wie eine Tote in der Erde lag. Mit einer Handbewegung verschloss er
die Öffnung über ihnen mit Erde und versetzte sich selbst in den
karpatianischen Schlaf. Sein Herzschlag stockte einen Moment und setzte dann
aus. Die Erde legte sich über sie, bis sie alles bedeckt hatte und so unberührt
schien, als würde sie schon seit Hunderten von Jahren dort liegen.
Kapitel 9
Die Sonne bewegte sich langsam
am Himmel. In dem Haus auf dem Hügel herrschte Stille, und die letzten
Lichtstrahlen brachen sich
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